Missbrauchskrise, Reform- und Strukturdebatten, sinkende Gläubigenzahlen: Die katholische Kirche ringt bundesweit wie im Südwesten um Kurs und Haltungen. Baustellen allenthalben. Zugleich suchen Seelsorger und kirchlich Engagierte nach Antworten, wie Kirche auf die Digitalisierung in Privatleben und Arbeitswelt reagieren soll.
"Wir stehen vor spannenden Zeiten. Denn der digitale Wandel fordert uns heraus, ganz neu darüber nachzudenken, wie Kirche aussehen will, wie wir Glauben und Religion leben wollen", sagt der neue Beauftragte für Digitalisierung im Erzbistum Freiburg, Martin Wichmann.
Breites Spektrum kirchlicher Onlineaktivitäten
Dabei ist das Spektrum von kirchlichen Onlineaktivitäten inzwischen erstaunlich groß: Per datensicherer Mail bietet internetseelsorge.de ein viel genutztes Gesprächsforum. Direkt aufs Smartphone schicken die Macher der "Netzgemeinde Da_Zwischen" wöchentlich per Messengerapp religiöse Denkanstöße. Bundesweit hat die Caritas Digitalisierung zum Leitthema 2019 ausgerufen und einen Ausbau ihrer Online-Beratungen angekündigt. Mancherorts bieten Ordensfrauen und Mönche an, per Mail eingeschickte Anliegen in ihre täglichen Gottesdienste und Gebete aufzunehmen. Auch Bibellektürepläne oder Stundengebets-Apps sind kostenlos verfügbar.
Die beiden Südwestbistümer Freiburg und Rottenburg-Stuttgart haben zu Jahresbeginn erstmals je einen Digitalisierungsbeauftragten ernannt. Auch um neu über einen roten Faden der Onlinestrategien nachzudenken.
In Rottenburg tritt Klaus Koziol als Bischöflicher Beauftragter dafür ein, Digitalisierung nicht nur technisch zu betrachten, sondern auch humane Rahmenbedingungen des digitalen Wandels der "Beschleunigungsgesellschaft" einzufordern. Es gelte, die Würde des Menschen zu wahren. Technik müsse immer "menschendienlich" sein, so Koziol. Bischof Gebhard Fürst hat einen "Denkraum" angekündigt, indem Theologen und KI-Forscher diskutieren sollen.
In Freiburg ist der Lahrer Theologe Wichmann seit wenigen Wochen als Digitalisierungskoordinator an der Schnittstelle zwischen Kirchenleitung und Basis tätig. Er will kirchliche Gemeinden, Gruppen und Initiativen begleiten, die neuen Techniken und Medien kreativ für ihren Alltag zu nutzen.
"Neu formulieren, wofür Kirche und Glaube heute stehen"
"Es reicht nicht, die alten Inhalte nur hübsch neu zu verpacken und dann ins Netz zu stellen. Wir müssen neu formulieren, wofür Kirche und Glaube heute stehen", so Wichmann. Und dazu brauche es einen Perspektivwechsel und damit eine Fokussierung darauf, was Menschen heute von Kirche erwarteten.
Lisa Ruppert steht für diesen Wandel. Sie entwickelt und begleitet neue Online-Seelsorgeangebote. Etwa für die inzwischen bundesweit aktive "Netzgemeinde Da_Zwischen". "Wir sind keine Konkurrenz oder Alternative zur Gemeinschaft und Kirchengemeinde vor Ort. Aber es ist offenkundig, dass Kirche auch dahin gehen muss, wo viele Menschen heute sind - online."
Gut 3.000 religiös Interessierte erhalten aktuell die beiden wöchentlichen religiösen Impulse aufs Handy. Jeder kann eigene Ideen und Angebote zurückschicken. Für Ruppert ist das wachsende Interesse ein Beleg dafür, dass es trotz aktueller Kirchenkrise eine große Suche nach religiösem Austausch gibt.
"Hochzeitsfigurator" in Planung
Wichtig ist den kirchlichen Digitalexperten auch, die oft in die Jahre gekommenen Internetauftritte zeitgemäßer zu machen. In wenigen Wochen gibt es für die Internetseite des Erzbistums Freiburg einen großen Relaunch. Künftig soll jede Kirchengemeinde mit ihrer Internetseite auf einen Blick Basisinfos vermitteln: Wo erreiche ich wie einen Seelsorger? Wann sind wo Gottesdienste? Wie funktioniert eine Taufe?
In der Mache ist ein kirchlicher "Hochzeitsfigurator", der online beim Planen der Trauung helfen soll - vom Kontakt zum Pfarrer, über die Wahl der Kirche bis zum Vorschlag von Liedern und Fürbitten.
"Paare planen und organisieren Hochzeit heute über das Web - beispielsweise mit Apps wie Pinterest. Aber Kirche ist da kaum präsent. Die Pfarrgemeinden verweisen die Paare stattdessen auf Aktenordner mit Kopiervorlagen", sagt Ruppert.
Wichmann fordert, die Chancen der digitalen Möglichkeiten zu betonen, statt nur eine Gefährdung der Tradition zu wittern. Das lässt sich im Blick auf Technik so wie auf Inhalte und Reformen verstehen.