Aus den Aufzeichnungen geht auch hervor, wie sich Faulhaber (1869-1952) bei der US-amerikanischen Militärregierung für NS-belastete Persönlichkeiten einsetzte. Im Rahmen der wissenschaftlichen faulhaber-edition.de soll noch in diesem Jahr der Jahrgang 1946 folgen.
Einzigartiges Dokument
Faulhabers nahezu tägliche Aufzeichnungen sind von 1911 bis 1952 erhalten und gelten Historikern als einzigartiges Dokument. In einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) finanzierten Projekt werden die Tagebücher seit 2015 veröffentlicht. Federführend sind der Direktor des Instituts für Zeitgeschichte (IfZ) in München, Andreas Wirsching, und der Münsteraner Kirchenhistoriker Hubert Wolf.
Wolf sagte bei der Vorstellung des neuen Jahrgangs am Donnerstagabend in München, trotz der totalen Zerstörung Münchens, das Faulhaber mit Pompeji nach dem Ausbruch des Vesuvs verglich, habe den Kardinal das Kriegsende offenbar wenig bewegt. Anders als 1918 habe es ihm weder schlaflose Nächte noch Herzrasen bereitet und zu keinen tieferen Reflexionen geführt.
Als "nüchterner Chronist", so Wolfs Mitarbeiter Philipp Gahn, habe Faulhaber in den letzten Kriegstagen seine Beobachtungen notiert, etwa als nach einem Bombenangriff auf Freising mit vielen Toten eine Mutter die verstreuten Körperteile ihrer Kinder in einem Kübel aufsammelte. Mit dem Sinn dieses Leides habe er sich in seinen Tagebüchern nicht beschäftigt.
Nur vage Informationen vom KZ Dachau
Vom Konzentrationslager Dachau wenige Kilometer nördlich von München besaß der Kardinal seinem Tagebuch zufolge nur vage Informationen, hauptsächlich von Geistlichen, die ihm nach ihrer Entlassung berichteten. Offenbar hatte Faulhaber auch selbst Angst, nach Dachau zu kommen.
Als ihn ein US-Offizier danach befragt, fühlt er sich in die Defensive gedrängt und reagiert pikiert. Die Kollektivschuldthese lehnt Faulhaber radikal ab. Die Verbrechen der Nationalsozialisten vergleicht er mit den Kriegsgreueln der Amerikaner. Mit seiner eigenen Verantwortung setzt er sich nicht auseinander.
Wirsching sagte, diese Haltung wirke heute möglicherweise selbstgerecht oder gar bigott. Allerdings habe sich Faulhaber damit im "Mainstream" dessen bewegt, wie sich Deutsche bis in die 1960er Jahre hinein mit dieser Frage auseinandergesetzt hätten.
Gleichwohl zeigten andere Quellen, dass es schon bald nach 1945 im deutschen Katholizismus auch andere Stimmen gegeben habe, so Wirsching. Er zitierte dafür einen Brief Konrad Adenauers aus dem Februar 1946. Darin sieht der spätere Bundeskanzler eine Mitschuld der Bischöfe und des Klerus, die sich nicht genügend gegen die Gleichschaltung durch die Nazis gewehrt hätten.