Wie sich die Zeit zurückerobern lässt

Die Kunst des Verzichts

Wenn es uns modernen Menschen heute an irgendetwas fehlt, dann ist das oft Zeit für die Liebsten oder sich. Dagegen fehlt es uns meist nicht an materiellen Dingen, hat Journalistin Steffi Piening analysiert. Konsumverzicht heißt ihr Zauberwort.

 (DR)

DOMRADIO.DE: Wir kaufen und kaufen und haben gar nicht die Muße, etwas mit den gekauften Gegenständen zu machen. Das klingt pervers und so ganz offensichtlich falsch. Warum tun wir das trotzdem immer wieder?

Steffi Piening (Redakteurin beim Magazin "Der Pilger" und Autorin des Artikels "Der Zauber des Einfachen"): Ich weiß es auch nicht. Ich mache es selber ja auch. Wer kennt das nicht? Die Garage ist voller Sportgeräte. Die Inline-Skates oder die Federball-Schläger stehen da, die eigentlich noch nie jemand genutzt hat.

Im Endeffekt belasten diese Dinge sogar, da wir ein schlechtes Gewissen haben, weil wir sie nicht nutzen. Jedes Mal, wenn wir die Gartenstühle rausholen, sehen wir sie und denken: "Eigentlich sollte ich ja mal wieder…" Das ist tatsächlich ein Teufelskreis.

DOMRADIO.DE: Das heißt, wir hätten tatsächlich mehr Zeit, wenn wir nicht so viele Sachen hätten, um die wir uns kümmern müssen?

Piening: Wahrscheinlich würde es helfen, wenn wir gezielter auswählen würden. Oftmals sind wir finanziell so gestellt, dass wir uns ganz viele Dinge kaufen können. Oft möchten wir auch die Dinge, die gerade aktuell sind, auch haben. Aber brauchen wir das wirklich? Wenn man bei dem Beispiel der Inlineskates bleibt: Ich finde Inline-Skates gut. Aber ich kaufe sie mir nicht, weil ich sie nicht nutzen kann.

DOMRADIO.DE: Könnte hinter diesem ständigen Konsum vielleicht auch die Angst vor der inneren Leere stecken?

Piening: Wenn man sich mal wirklich vornimmt, mal nichts zu tun, dann muss man diesen Zustand des Nichtstuns auch aushalten können. Ich denke, das ist heutzutage gar nicht so einfach. Dann kommt die Beschäftigung mit sich selbst. Wer bin ich, ohne diese ganzen materiellen Dinge, die ich so anhäufe? Oft definieren wir uns über das Auto, über das Fahrrad, über das Haus, über unsere Kleidung, die wir haben. Wenn das wegfällt, dann geht es plötzlich um andere Fragen, zum Beispiel was sind die eigenen Stärken und Schwächen? Das kann unbequem sein.  

DOMRADIO.DE: Jetzt ist natürlich die Frage aller Fragen: Wie schaffen wir das, aus diesem Teufelskreis auszusteigen - durch Fasten und Verzicht?

Piening: Es wäre auf jeden Fall mal einen Versuch wert. Gerade jetzt in der Fastenzeit kann man ausprobieren was passiert, wenn man sich abends nicht vor den Computer setzt und Sachen online bestellt, sondern sich vielleicht ein Buch ausleiht und liest. Ich könnte mir vorstellen, dass man da durchaus schöne Erkenntnisse hat.

DOMRADIO.DE: Der Anfang ist bekanntlich am schwersten. Haben Sie einen Rat, wie wir vielleicht diesen Einstieg aus dem Ausstieg schaffen könnten?

Piening: Der Soziologe Hartmut Rosa hat mal gemeint, sein Tipp wäre, dass man sich einfach mal fürs Wochenende vornimmt, nichts zu tun. Am besten trägt man sich das tatsächlich in den Kalender ein: Dieses Wochenende nichts tun! Das bedeutet, dass man sich nicht mit Freunden verabredet, sich nicht überlegt, was kaufe ich ein? Dann sitze ich am Samstagmorgen am Frühstückstisch und warte einfach mal ab, was passiert. Das, denke ich, kann jeder Mal für sich versuchen.

Oft denken wir, wenn wir uns ein neues Auto kaufen, sind wir glücklich. Aber dieses Glück wirkt nur kurzfristig. Vielleicht sollte man so ein bisschen erkennen, dass das Schöne im Leben ganz oft wirklich ganz unabhängig von materiellem Besitz oder Wohlstand ist. Das kann ein Treffen mit einem alten Freund sein, den man lange nicht gesehen hat. Dann sitzt man auf der Terrasse und trinkt einen Wein. Das sind so Momente, da hat man wochenlang noch etwas von. Diese Momente können wir mehr zelebrieren.  

Das Interview führte Hilde Regeniter.


Quelle:
DR