Wie politisch darf die Kirche sein?

"Sie kann sich immer einmischen"

Die Petition für ein allgemeines Tempolimit auf deutschen Autobahnen der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland führte zu einer Diskussion zwischen Bundestagsabgeordneten. Darf sich die Kirche zu diesem Thema äußern?

Petition zu Tempolimit 130  / © Jens Büttner (dpa)
Petition zu Tempolimit 130 / © Jens Büttner ( dpa )

DOMRADIO.DE: Der Vorsitzende des Petitionsausschusses, Marian Wendt (CDU), hatte den Vorstoß der Kirche zunächst zurückgewiesen. "Grüne Verbotspolitik" habe in der Kirche nichts zu suchen, sagte er. Ist der Vorwurf des Politikers denn gerechtfertigt?

Msgr. Prof. Peter Schallenberg (Professor für Moraltheologie an der Theologischen Fakultät Paderborn): Ich glaube, beide Seiten überziehen da etwas in den Diktionen und in Formulierungen. Und der Vorsitzende des Petitionsausschusses schießt vielleicht auch ein bisschen mit Kanonen auf Spatzen.

DOMRADIO.DE: Muss sich die Kirche denn zu diesem Thema äußern?

Schallenberg: Sie muss sich da nicht unbedingt äußern. Aber sie kann sich natürlich dazu äußern. Wir sind ein freies Land und freie Menschen im freien Land. Jeder kann sich zu allem äußern. Aber es ist kein kirchliches Gebiet par excellence. Dass ein Politiker aus einer christdemokratischen Partei aufsteht und sagt "Kirche bleib bei deinen Leisten", das ist sein gutes Recht. Und das hilft dann in der Auseinandersetzung darüber, wozu Kirche sich genuin und eigentlich äußern sollte und könnte.

DOMRADIO.DE: Wenn es um moralische Fragen geht, wie sollte die Kirche sich da einmischen und einbringen?

Schallenberg: In moralischen Fragen kann sich die Kirche immer einmischen. Jedenfalls mehr als in explizit technischen Fragen. Moral ist eine natürliche Folge des Glaubens an Gott. Also moralisches Leben, gutes Leben, gerechtes Leben – das erwächst aus dem biblischen Anspruch Gottes an den Menschen. Insofern ist Moral im Christentum natürlich sehr naheliegend. Auf der anderen Seite haben wir auch die Auseinandersetzung im Augenblick darüber – nach dem guten und schönen Buch von Hans Joas "Kirche als Moralagentur?" – ob die Kirchen sich jetzt zu allem und jedem äußern, was auch nur im Entferntesten irgendeine moralische Qualität in unserem Lande hat. Sie kann das, aber das nutzt sich wahrscheinlich auch etwas ab.

DOMRADIO.DE: Wenn jetzt die Politik sagt, dass die Kirche sich lieber auf die Fragen fokussieren sollte, die die Gesellschaft zusammenführt statt trennt, dann müsste sich die Kirche ja grundsätzlich aus gesellschaftlichen Problemen raushalten?

Schallenberg: Wenn dieser Vorwurf zutreffen würde, ja. Auf der anderen Seite lebt Demokratie davon, dass unterschiedliche Meinungen ausgetauscht werden. Die englische Demokratie zum Beispiel geht sogar so weit, dass sie in sehr wichtigen Grundsatzfragen sehr scharf und heftig diskutiert und dafür Spaltungen in der Gesellschaft in Kauf nimmt, um Meinungsfreiheit zu gewährleisten. Also nur der Hinweis auf Vermeidung von Spaltung in der Gesellschaft hilft da nicht weiter.

Wir haben einen Zusammenhalt in der Gesellschaft, der es uns erlaubt, sehr unterschiedliche Meinungen in die politische Arena zu bringen. Ich glaube nicht, dass die Kirche Spaltung in die Gesellschaft trägt, indem sie sich zu Tempo 130 äußert. Ich glaube auch nicht, dass das Thema besonders geeignet ist, um die Gesellschaft tief zu spalten. Da sind existenzielle Themen wie Lebensanfang und Lebensende eher Felder, mit denen die Gesellschaft an den Rand einer unversöhnlichen Spaltung gelangt.

Das Interview führte Tobias Fricke.


Prof. Peter Schallenberg / © Harald Oppitz (KNA)
Prof. Peter Schallenberg / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
DR