Ein Kommentar zur Debatte um Trisomie-Tests

Behinderung ist keine Belastung

In der Debatte um die Kostenüberahme von Bluttests zur Erkennung von Trisomien vermisst DOMRADIO.DE-Redakteurin Ina Rottscheidt den positiven Blick auf Behinderung. Meist sei von "Belastungen" die Rede.

 (DR)

Nur wenige Milliliter Blut, mehr braucht es nicht, um mit dem Bluttest festzustellen, ob bei einem ungeborenen Kind eine Trisomie vorliegt. Gendefekte, die vorkommen, aber sehr selten sind. Kinder mit einer Trisomie 13 oder 18 sind selten lebensfähig und sterben oft schon vor der Geburt. Es geht also bei der Debatte um die Kostenüberahme von Bluttests vor allem um die Trisomie 21, das Down-Syndrom. Und diese Kinder sind sehr wohl lebensfähig. Und bei entsprechender Förderung sind sie auch in der Lage, irgendwann ein weitgehend eigenständiges Leben zu führen.

Dennoch entscheiden sich werdende Eltern Schätzungen zufolge nach der Diagnose in neun von zehn Fällen für eine Abtreibung. Der Test suggeriert ihnen, man könne alle Risiken ausschließen. Tatsächlich jedoch entstehen die meisten Behinderungen während oder nach der Geburt, durch Sauerstoffmangel beispielsweise, Infektionskrankheiten oder Unfälle. Der Bluttest gaukelt eine Sicherheit vor, die es nicht gibt.

Kaum ein Elternpaar, das sich zu einem Schwangerschaftsabbruch entscheidet, dürfte sich die Entscheidung leicht machen. Doch am Ende sind es eben über 90 Prozent.

Werden es noch mehr, wenn der Test künftig von den Krankenkassen gezahlt wird? Ist es gerecht, wenn sich ihn nur Wohlhabende leisten können, ärmere Familien hingegen auf die deutlich risikoreichere Fruchtwasseruntersuchung zurückgreifen müssen, denn die ist Kassenleistung?

Auch die beiden großen Kirchen sind in der Frage uneins. Viele Abgeordnete haben an diesem Donnerstag im Bundestag ihre Hin- und Hergerissenheit zum Ausdruck gebracht, was gut ist, denn es zeigt, dass es keine einfachen Antworten gibt und dass Politik sich ihrer sozialen und ethischen Verantwortung bewusst ist.

Allerdings lässt die gesamte Debatte - auch außerhalb des Bundestages - einen positiven Blick auf Behinderung weitgehend vermissen; Zumeist ist von der "Belastung" der Eltern durch ein Kind mit Behinderung die Rede; von "Leid" und "Schicksal". Eine Bundestagsabgeordnete sprach von Ängsten vor wirtschaftlicher Not, sozialer Isolation und einer lebenslangen Verantwortung für pflegebedürftige Kinder.

Die wenigsten Familien dürften diese Schreckensszenarien aus ihrem Alltag bestätigen: Natürlich ist Inklusion in Deutschland noch deutlich ausbaufähig, aber es gibt jetzt schon breite Unterstützung. Menschen mit Down-Syndrom sind oftmals frohe, lebensbejahende Menschen, sie können Schauspieler oder Lehrer werden, Englisch lernen oder in der Gastronomie arbeiten. Viele sind emphatisch, Vorurteile sind ihnen fremd. Die wenigsten Eltern würden im Zusammenhang mit ihren Kindern von einer "Belastung" sprechen. Sie sind Ausdruck von Vielfalt menschlichen Lebens.

Viele werdende Eltern trauen sich dennoch ein Leben mit einem behinderten Kind nicht zu und entscheiden sich eher dagegen. Und das liegt auch an dem Druck in einer Gesellschaft, die alles zu perfektionieren versucht. "Ein Kind mit Down-Syndrom? – Das muss doch heute nicht mehr sein!" "Hätte man da nicht vorher was machen können?" "Und warum muss die Allgemeinheit für die Betreuungs- und Behandlungskosten aufkommen?" Diese Fragen werden jetzt schon gestellt, im wirklichen Leben, aber noch viel radikaler im Internet, in den vielen Foren zum Thema.

Die Entscheidung gegen das behinderte Kind hat auch viel mit der Angst vor dem Unbekannten zu tun, denn Leben mit Behinderung findet im Alltag der deutschen Mehrheitsgesellschaft bis heute kaum statt. Lange Jahre lebten Betroffene in einer Parallelwelt, in Förderschulen, Heimen oder Werkstätten; die Inklusion in Deutschland hat da noch einen weiten Weg vor sich. Erst wenn Menschen mit Behinderung selbstverständlich in der Schule, im Job und in Sport- oder Musikverein dabei sind, wird diese Angst vor dem Unbekannten weniger. Und der Bluttest wird vielleicht für werdende Eltern nicht mehr so wichtig. Ob er nun von der Kasse bezahlt wird oder nicht.