DOMRADIO.DE: Sie waren dabei, als Beethovens Fünfte erklang. Wie haben denn die Jugendlichen reagiert?
Ulla Fricke (Leiterin von Bildung und Kommunikation bei Don Bosco in Bonn): Da haben Sie direkt einen der intensivsten Momente herausgepickt. Ich bin immer noch ganz inspiriert von dieser tollen Woche und das lag auch daran, dass das so toll funktioniert hat. Das war ein Zusammenprall von zwei Welten, die wir da hatten – urbane Jugendkultur und klassische Musik. Wir waren uns am Anfang der intensiven Vorbereitung natürlich ein bisschen unklar oder hatten Fragen, wie diese Begegnung funktionieren wird.
Gerade dieser Moment, als nach Kennenlernspielen die Musiker ansetzten, hallte und schallte der Raum erfüllt von diesen Takten. Ich habe die Begeisterung der Jugendlichen gesehen, die haben gejubelt und eine Gänsehaut bekommen. Man muss sich in dem Kontext die heruntergekommene Halle vorstellen und Jugendliche im Alter von 16 oder 17 Jahren, die natürlich nicht übermäßig interessiert sind. Man hat gesehen, das hat sie gepackt, das war ein ganz toller Moment.
DOMRADIO.DE: Wahrscheinlich ist klassische Musik auch nicht das, was sie jeden Tag hören. Wie geht das "Beethoven Moves!"-Projekt darauf ein?
Fricke: Ja das stimmt. Das "Beethoven Moves!"- Projekt will die Kultur der Jugendlichen mit klassischer Kultur zusammenbringen. Unter den Klängen der fünften Sinfonie haben wir jeden Tag mit verschiedenen Künstlern in Medellín gearbeitet, zum Beispiel ein bekannter Graffiti-Künstler aus der Communa 13 aus dem Viertel Carpinelo, was sehr unter Gewalt gelitten hat. Durch die Graffitis ist es zu einer Touristenattraktion geworden. Mit ihm haben wir einen Tag gearbeitet, er hat den jungen Menschen Spraytechniken beigebracht – zu den Klängen der Fünften.
Es kamen ganz tolle, berührende Bilder dabei raus. Das war toll zu sehen, welche Emotionen die Musik in Jugendlichen freisetzt, die alle aus ganz schwierigen Verhältnissen kommen und sogar zum Teil als Kindersoldaten gekämpft haben. Sie waren Straßenkinder oder lebten in bitterer Armut. Das war auch mit der Grund, warum das Projekt für das Beethoven Orchester Bonn sehr spannend war. Sie wollten schon auch wissen, was macht Beethoven mit den Jugendlichen, die eine Geschichte mit Gewalt hinter sich haben.
DOMRADIO.DE: Wie war das für Sie, als Gäste, zu spüren?
Fricke: Sehr intensiv, ich bin immer noch emotional verkatert, würde ich sagen. Es ist spürbar, was die Jugendlichen so auf den Schultern, ja, welche Last sie tragen. Wir wussten sechs Kinder aus der Gruppe sind ehemalige Kindersoldaten, die dürfen zum Beispiel nirgendwo online auftauchen. Das war eine kleine Einschränkung, die man aber eben ganz praktisch wahrgenommen hat. Auch in Gesprächen kommt vieles an die Oberfläche, man hörte zum Beispiel von früh verstorbenen Eltern.
An einem Tag sind wir in das Viertel gegangen nach Campinello, aus dem viele der Jugendlichen kommen. Zu sehen, wo sie herkommen, die Häuser haben noch nicht einmal mehr Ziegel, sondern sind aus Pappe und Wellblech; das bekommt man nicht überein mit diesen strahlenden Gesichtern, mit dieser unglaublichen Lebensfreude und Energie, die sie trotzdem ausstrahlen.
DOMRADIO.DE: Wie kann man sich dieses gemeinsame Musizieren und Tanzen und auch Kreativsein überhaupt vorstellen?
Fricke: In dieser Woche haben wir zur fünften Sinfonie musikpädagogisch gearbeitet. Dirk Kaftan ist der Generalmusikdirektor der Stadt Bonn hat das wirklich auf eine wunderbare Art und Weise gemacht. Die Musiker haben gespielt, es wurde immer wieder unterbrochen, er hat die jungen Menschen gefragt, was sie dabei fühlen – eher Fragen oder Antworten? Dann wieder zurück zu Takt 46 oder zu sonst wie, alle blättern, dann wurde wieder gespielt. Wir haben gerappt, wir haben Graffiti gesprayt.
DOMRADIO.DE: Es konnte ja wahrscheinlich nicht jeder ein Instrument spielen, oder?
Fricke: Die Jugendlichen hatten gar kein Instrument, die hatten auch noch nie eins in der Hand. Die durften in den Pausen immer mal musizieren und die Faszination für das Instrument ein bisschen spüren. Aber die wenigsten von ihnen hatten einen Zugang zum Selbermachen von Musik oder sehr wenige nur. Wir haben als Don Bosco Mission Bonn schon vor einem dreiviertel Jahr angefangen, dort Tanzkurse zu finanzieren, als pädagogisches Konzept. Das ist auch die Idee, die hinter Beethoven Moves steht: "Music overcomes violence and exclusion".
DOMRADIO.DE: Was macht die "Don Bosco Mission" Bonn genau in Meddelín?
Fricke: In den verschiedenen Stadtteilen von Medellín bieten wir eine Sozialarbeit an und haben auch Aufführungen veranstaltet, die ich auch selber – obwohl ich die ganze Woche miterlebt habe – nie so erwartet hätte. Ich war selber total überrascht und geflasht, wie kreativ und vielfältig das war. Da wurde also nicht nur die fünfte Sinfonie runtergespielt, sondern es gab auch immer wieder Unterbrechungen. Es gab Bodypercussion und Aufwärmübungen mit dem Publikum, die Musiker haben einen Menuett getanzt, um zu demonstrieren, was Beethoven nicht wollte, anders gemacht oder zerstört hat. Es war eine grandiose Show und dass wir das in fünf Tagen hinbekommen haben, war bombastisch. Das ist vor allem der Ideengeberin und Projektleiterin Rita Baus und dem Regisseur Anselm Dalferth zu verdanken.
DOMRADIO.DE: "Kinder sind Edelsteine, die auf der Strasse liegen. Sie müssen nur aufgehoben werden, und schon leuchten sie", sagte Don Bosco. Wie setzen Sie das um?
Fricke: Unser Motto ist: "Damit das Leben junger Menschen gelingt" und egal, ob jetzt hier in Deutschland oder weltweit. Wir glauben, dass Jugendliche vor allen Dingen persönliche Beziehungen brauchen – aber auch viele andere Sachen, wie Ausbildung, liebevolle Zuwendung und vor allen Dingen den Gedanken, Ich bin etwas wert" und "Ich kann was". Die Arbeit in unseren Einrichtungen hat natürlich das Ziel, die Talente der Jugendliche zu bestärken und sie auf dem Weg zu begleiten. Da hat die unsere Einrichtung in Medellín natürlich schon langjährige Erfahrung und nutzt die Kreativität oder auch Sport als pädagogisches Mittel, sodass die jungen Menschen an sich und ihre Zukunft glauben.
DOMRADIO.DE: Es gibt dann auch 2020 eine Aufführung der fünften Sinfonie in Bonn, dazu kommen dann auch noch einmal verschiedene Musiker zusammen, oder?
Fricke: Im Juli 2020 reisen 20 von unseren kolumbianischen Jugendlichen nach Bonn, teilweise einige, mit denen wir jetzt gearbeitet haben. Sie treffen dann auf eine Gruppe deutscher Jugendliche aus Bonn und Umgebung. Im Januar 2020 machen wir ein Kick-off-Event in Bonn für Jugendliche, die Lust haben, sich mit Beethoven zu befassen, die Bock haben, eigene Kreativität auszuleben. Sie sind herzlich eingeladen, sich zu bewerben. Ja und dann findet am 23. und 24. August eine große Aufführung mit der Vollbesetzungen des Bonner Beethoven Orchester statt zu der die Jugendlichen dann auch etwas machen.
So etwas muss ja natürlich auch immer finanziert werden. Insofern haben wir mit dem Beethoven Move einen besonderen Programmpunkt gesetzt. Es ist toll, dass jetzt angesichts oder anlässlich des 250-jährigen Beethovenjubiläums im nächsten Jahr einfach auch andere Fördertöpfe zur Verfügung standen und wir dieses Projekt so miteinander kreieren konnten.
Das Interview führte Beatrice Steineke.