DOMRADIO.DE: "Religionen können Grenzen überwinden und gesellschaftlichen Zusammenhalt stiften". Das ist der Tenor in einem Grußwort der fünf katholischen Bistümer und der drei evangelischen Landeskirchen in NRW zum Ramadan. Warum ist dieses Betonen des Zusammenhalts gerade jetzt die richtige Botschaft?
Prof. Thomas Lemmen (Theologe beim Referat für Interreligiösen Dialog im Erzbistum Köln): In diesem Monat Mai und dem Fastenmonat Ramadan finden die Europawahlen statt. Man hat derzeit den Eindruck, dass europaweit die Dinge eher auseinanderdriften und Abgrenzungen stärker betont werden. Dabei ist der Brexit nur am Rande zu erwähnen.
Auch in islamischen Ländern wie der Türkei ist stärker von Abgrenzungen und Differenzierungen die Rede. Das ist ein ganz gefährlicher Trend. Dem können die Religionen etwas entgegensetzen, indem sie das Verbindende, das Gemeinsame betonen und gleichsam sagen, dass Religionen Grenzen überwinden und Zusammenhalt stiften können.
DOMRADIO.DE: Wie können Religionen das schaffen?
Lemmen: Indem sie sich auf das besinnen, was ihnen gemeinsam ist. Die Verantwortung und Würde des Menschen haben die Religionen abgesehen vom Glauben an Gott gemeinsam. Sie haben aus diesem Glauben heraus auch eine gemeinsame gesellschaftliche Verantwortung. Es ist sozusagen im Herzen der Religionen angelegt, dass wir Religionen nicht für Differenzierungen oder Konflikte missbrauchen, sondern hervorheben, dass sowohl der Islam als auch das Christentum in positiver Beziehung zueinander stehen.
Da gilt es in diesen Zeiten, wo immer wieder von Differenzen, Unterschieden und Konflikten die Rede ist, ganz deutlich zu sagen: "Wir haben mehr gemeinsam als viele glauben". Das muss man erst einmal entdecken und würdigen.
DOMRADIO.DE: Es gibt aber auch viel Trennendes in den Religionen, oder?
Lemmen: Natürlich, es gibt auch Trennendes. Und das Trennende gehört irgendwo auch dazu. Christen glauben daran, dass in Jesus Christus Gott Mensch geworden ist. Das ist eine Aussage, die Juden und Muslime so nicht teilen würden. Das kann man auch nicht harmonisieren. Es werden Unterschiede bleiben.
Aber man muss halt lernen, damit umzugehen, das Gemeinsame zu betonen und das Andere sich auch so zu erklären, dass es nicht mehr als trennend empfunden wird.
Es gehört für mich als Christ zum Glauben dazu, dass ich an Jesus Christus als Gottes Wort und Gottes Sohn glaube. Das kann der Muslim so zur Kenntnis nehmen, ohne sich damit zu identifizieren. Aber das bedeutet ja noch lange nicht, dass wir uns deshalb gegenseitig an den Hals gehen müssen.
DOMRADIO.DE: Gibt es noch mehr Möglichkeiten, wie wir als Andersgläubige muslimischen Mitmenschen in diesen Tagen begegnen können?
Lemmen: Es fängt damit an, dass man den Muslimen, denen man auf der Straße, in der Schule oder am Arbeitsplatz begegnet, einen guten Ramadan wünscht. Da gibt es oftmals ein "Aha-Erlebnis". Da bekommt man dann zur Antwort: "Ach, Sie wissen davon?" Das ist ein Zeichen der Wertschätzung, den anderen in seiner Religiosität so wahrzunehmen.
Man kann auch die Freude teilen. Man kann auch zum Fastenbrechen gehen, wenn man eingeladen wird. Man kann dabei sein, wenn Muslime diese Abendstunden zum Abschluss eines jeden Ramadantages freudig begehen. Man kann daran in Moscheegemeinden oder bei Freunden teilnehmen. Man kann zum Ende des Monats gratulieren und ein gutes Fest wünschen.
Das erlebe ich mittlerweile auch in der Gegenseitigkeit. Ich habe jetzt zum Osterfest von Muslimen Glückwünsche, also Segenswünsche zum Osterfest bekommen, ohne dass sich Muslime mit den Festinhalten identifizieren, so wie ich mich auch nicht mit den Festinhalten der Muslime identifizieren muss. Es ist ein hohes Zeichen der Wertschätzung, des Respekts und letztendlich der Normalität.
DOMRADIO.DE: Was bedeutet denn genau das Fasten für Muslime? Wir als Christen verzichten beispielsweise auf Fleisch, Genussmittel oder auf Süßigkeiten. Wasser und Brot sind tagsüber bei den Muslimen erlaubt?
Lemmen: Nein. Das ist ein ganz anderes Fasten. Es ist eine vollständige Enthaltsamkeit von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Das bedeutet, nichts zu essen, nichts zu trinken und je nachdem wie streng man es sieht, auch möglichst keine angenehmen Gerüche durch die Nase wahrzunehmen.
Also, es ist ein vollkommenes Fasten, wie es übrigens auch bei den Christen orthodoxer, orientalischer Tradition üblich ist. Da ist der Islam kein Einzelfall, sondern das ist durchaus etwas, was in anderen Traditionen vorkommt. Gefastet wird im Ramadan zur Erinnerung daran, dass in diesem Monat nach Glauben der Muslime der Koran zum ersten Mal offenbart wurde.
DOMRADIO.DE: Gibt es denn beim Fasten im Ramadan auch Ausnahmen?
Lemmen: Natürlich, der Islam hat da ein reiches Repertoire an Ausnahmeregelungen. Wer gesundheitlich, körperlich nicht in der Lage ist, zu fasten, der darf nicht fasten. Wer aus beruflichen Gründen daran gehindert ist, einen Fastentag einzuhalten, der darf aussetzen und den Tag nachholen oder aber Arme speisen.
Die Ausnahmeregelungen sollen dem Menschen helfen, das Mögliche zu tun und nicht das Unmögliche.
DOMRADIO.DE: Der Fastenmonat Ramadan ist die vierte der fünf Säulen des Islam. Die Hadsch, die Pilgerfahrt nach Mekka, gehört zum Beispiel auch dazu. Die macht man als Muslim in der Regel nur einmal im Leben. Aber wie häufig fastet man?
Lemmen: Auch da ist es so, dass jeder Muslim anders ist. Es gibt Muslime, die fasten jedes Jahr ihr ganzes Leben. Es gibt aber auch Muslime, die das ganze Jahr über zwar nicht religiös sind, aber im Fastenmonat Ramadan, weil sie es einmal im Jahr sein wollen. Und es gibt solche, die das erst in bestimmten Stadien ihres Lebens tun. Das Ideal, wie in jeder Religion, ist, dass es jeder macht. Aber auch da ist die Wirklichkeit, wie auch bei uns, oft vom Ideal weit entfernt.
Das Interview führte Carsten Döpp.