"Der für Äthiopien prägende ethnische Föderalismus ist in die Krise geraten", sagte Hamburgs Erzbischof Stefan Heße. "Der gegenseitige Hass verschiedener Stämme und Gruppen hat dramatische Ausmaße angenommen." Als einen ermutigenden Ansatz für das gesellschaftliche Miteinander in Äthiopien bezeichnete Heße die neue staatliche Versöhnungskommission, deren Vorsitzender der katholische Erzbischof von Addis Abeba, Kardinal Berhaneyesus Souraphiel, ist.
Die Spannungen verschärften sich durch den Zuzug von Flüchtlingen aus Nachbarländern, erläuterte Heße. Im Laufe seiner sechstägigen Reise besuchte er unter anderem das Jew Camp in Gambella, in dem 62.000 Flüchtlinge aus dem Südsudan leben, und das Lager Mai Aini, in dem mehr als 20.000 Flüchtlinge aus Eritrea untergekommen sind.
Die Einheimischen nicht vergessen
Die einheimische Bevölkerung dürfe sich durch die Sorge um die Flüchtlinge nicht benachteiligt fühlen, so Heße. Flüchtlingsprogramme könnten nur dann auch zu einem entwicklungspolitischen Erfolg werden, wenn sie auf ganze Städte und Regionen ausgerichtet seien.
Der Flüchtlingsbeauftragte der Bischofskonferenz bezeichnete Migration und Flucht als globale Herausforderungen. "Europa darf Äthiopien nicht alleine lassen – ansonsten verrät es die Humanität", mahnte er.
Können Mauern das Problem lösen?
Gegenüber der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) hatte Heße zudem vor einer Abschottungspolitik gegenüber Flüchtlingen aus Afrika gewarnt. "Ich bin davon überzeugt, dass wir mit Mauern und Zäunen dieses Problems nicht Herr werden." Es brauche andere Wege, die eine geordnete und sichere Migration ermöglichten. "Wir dürfen das Thema nicht dem freien Spiel der Kräfte überlassen, sondern müssen weltweit, besonders aber auch in Europa, zu einer klaren Ausrichtung gelangen."
In Äthiopien leben schätzungsweise 108 Millionen Menschen. Rund 43 Prozent der Bevölkerung gehören der äthiopisch-orthodoxen Kirche an; die zweitgrößte Gruppe ist mit knapp 34 Prozent Anteil die der Muslime; nur eine Minderheit von 0,7 Prozent der Äthiopier ist katholisch. Das Land hat insgesamt rund eine Million Flüchtlinge aufgenommen und ist zudem mit rund drei Millionen Binnenvertriebenen konfrontiert.