Vor 525 Jahren: Ein schräger Deal mit päpstlichem Segen

Tordesillas oder die Aufteilung der Welt

Portugals König hatte sich einen historischen Riesenpatzer erlaubt – er hatte Kolumbus nicht engagiert. Der entdeckte Amerika nun für Kastilien; und so hatte der Aufsteiger des Jahrhunderts plötzlich Konkurrenz bekommen.

Autor/in:
Alexander Brüggemann
Statue mit Christoph Kolumbus (shutterstock)

Ist je ein größeres Fell verteilt worden, bevor der Bär überhaupt erlegt war? Die Könige Kastiliens und Portugals teilten die Welt vertraglich unter sich auf - ohne die betroffenen Menschen in Amerika, Afrika oder Asien oder die anderen europäischen Seemächte wie England, die Niederlande oder Frankreich mit ins Boot zu holen.

Und der Papst als Oberrichter der katholischen Welt gab seinen Segen zu jenem Vertrag, der am 7. Juni 1494, vor 525 Jahren, im spanischen Tordesillas geschlossen wurde.

Die kastilische Kleinstadt, 120 Kilometer nordöstlich von Salamanca und 130 Kilometer von der portugiesischen Grenze entfernt, war die Kulisse für ein Stück Weltgeschichte, das letztlich aus einem fatalen historischen Fehltritt resultierte. Das gesamte 15. Jahrhundert über war das kleine Portugal der aufkommende Player in Europa gewesen; und für wenige Jahrzehnte schwang es sich tatsächlich zur Weltmacht Nummer eins auf.

Ein fataler Fehler 

Prinz Heinrich "der Seefahrer" (1394-1460) hatte die Experten seiner Zeit versammelt, um den ganz großen Schritt übers Meer zu wagen, hinein ins Unbekannte. 1419, vor genau 600 Jahren, wurde die Insel Madeira entdeckt, rund 700 Kilometer vor der Küste; dann die Azoren; die Kapverdischen Inseln, 1488 das Kap der Guten Hoffnung. Bald sollten Indien, Brasilien und China folgen.

Doch im selben Jahr 1488 machte Portugals König Johann II. einen historischen Fehler; noch viel größer als jener der Plattenfirma Decca, als sie 1962 die Beatles nicht unter Vertrag nahm: Johann hätte Christoph Kolumbus engagieren können, der im Westen den Seeweg nach Indien finden wollte. Doch der König war von dem Plan nicht überzeugt. So heuerte der Genueser Kolumbus beim Nachbarn Kastilien an - und entdeckte Amerika!

Mit einem Schlag hatte Portugal 1492 Konkurrenz auf dem Entdeckermarkt bekommen. Um Konflikte zu vermeiden, mussten nun dringend die Claims abgesteckt werden - obwohl noch niemand überhaupt ahnen konnte, was sich hinter den neuen Horizonten verbarg.

Portugal hatte freilich einstweilen schon etwas sehr Konkretes zu verteidigen: Afrika und den freien Weg um das Kap nach Osten, nach Asien; exklusiv für sich! Dafür musste es den Weg nach Westen weitgehend an Kastilien abtreten.

Im Vertrag von Tordesillas wurden nach langem Feilschen die Interessensphären entlang einer Nord-Süd-Linie definiert. Der Referenzpunkt lag - nach heutiger Lesart - 480 Kilometer westlich der Kapverden.

Lateinamerika als "Geschenk des heiligen Petrus"

Als Schiedsrichter und Gewährsmann des Vertrags wurde die oberste Instanz der katholischen Welt eingesetzt: der Papst. Alexander VI. (1492-1503), gebürtig aus Aragon, ließ sich diese diplomatische Machtdemonstration nicht entgehen. Doch zu einem absurden Preis:

Nach 1513 hatten die spanischen Eroberer der indigenen Bevölkerung Lateinamerikas bei der Erstbegegnung auf Spanisch (!) eine "Ermahnung" zu verlesen, nach der der heilige Petrus den spanischen Königen ihr Land "zum Geschenk gemacht" habe. Unterwerfung unter die Krone sei das einzige Mittel, Krieg oder Sklaverei zu verhindern.

Und das Dokument von Tordesillas schaffte auch nur vordergründig Klarheit. Schon bald entstand immer neuer Streit um die Auslegung des Vertragstextes: War die Grenzlinie ab der West- oder der Ostküste der Kapverden zu berechnen? Nach der spanischen oder der portugiesischen Maßeinheit "Legua"?

Das war von durchaus handfestem Belang - denn die vermeintliche Insel, die ein portugiesischer Seefahrer bald darauf entdeckte, war tatsächlich die Ostspitze des südamerikanischen Festlands: Brasilien.

Bindend nur für Spanien und Portugal

Die anderen Seemächte Europas hielten den Vertrag ohnehin für illegal. Sie hatte niemand gefragt; noch weniger natürlich die Bevölkerungen Amerikas, Afrikas und Asiens. Schon 1559 setzte Englands Königin Elizabeth I. durch, dass das portugiesisch-spanische Friedensgebot westlich der Linie von Tordesillas fortan nicht mehr für Dritte galt.

Spanische Frachtschiffe aus der Neuen Welt wurden zum bevorzugten Ziel französischer und englischer Freibeuter. Der Vertrag war endgültig Makulatur.

 

Quelle:
KNA
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