DOMRADIO.DE: Herr Regens, Sie leiten das Kölner Priesterseminar, in dem sich momentan sechs Diakone auf die Priesterweihe am 28. Juni und den dann folgenden seelsorglichen Einsatz vorbereiten. Welche Fähigkeiten sollte ein angehender Priester unverzichtbar mitbringen?
Hans-Josef Radermacher (Regens des Kölner Priesterseminars): Unabdingbar ist eine möglichst große Offenheit für die Menschen, die einem begegnen. Und damit gepaart eine ebensolche Kommunikationsbereitschaft. Denn Seelsorger sollten spürbar machen: Ich schätze Dich, ich verstehe Dich, Du bist mir etwas wert. Ihre Einladung lautet: Lass uns ein Stück Weg gemeinsam gehen! Ziel ist es, das Leben der Menschen mit ihren Fragen kennenzulernen und in Beziehung zu Gott und seinem Sohn Jesus Christus zu bringen. Dafür muss man die Menschen lieben. Und man sollte eine Sprache sprechen, die andere verstehen. Das müssen viele Seminaristen wieder neu lernen, wenn sie von der Hochschule kommen. Denn im Alltag sind sie gefordert, komplizierte theologische Inhalte in allgemein verständliche Sätze zu übersetzen. Schließlich kommt Sprache in der zwischenmenschlichen Begegnung eine Schlüsselfunktion zu.
DOMRADIO.DE: Lernen die Alumnen denn so etwas bei Ihnen?
Radermacher: Homiletik, Rhetorik und Katechese sind Schwerpunkte der Priesterausbildung. Hier geht es darum: Wie verkündige ich Gottes Wort, wie vermittle ich die Botschaft des Evangeliums? Außerdem biete ich im Laufe dieser dreijährigen Ausbildung immer wieder Kolloquien an, in denen es um die priesterliche Identität des Einzelnen geht bzw. um eine Hilfestellung, diese zu entwickeln. Also um die Fragestellung: Wie bin ich auf dem Weg, um meine priesterliche Identität zu entdecken? Dazu gehört auch, die Verlautbarungen aus Rom zu diesen Themenbereichen, die in einer komplizierten Binnensprache verfasst sind, zu erarbeiten, zu verstehen und in Bezug zum eigenen Leben zu setzen. Das will geübt werden. So verstanden ist die Zeit im Priesterseminar auch eine Form der Erwachsenenbildung. Im Priesterseminar leben und studieren Seminaristen, Diakone, Neupriester und Ordensleute. In der Regel sind es etwa 25 Studierende. Mir ist wichtig, dass sich alle auf Augenhöhe begegnen, im gegenseitigen Austausch von dieser gemeinsamen Zeit profitieren und sie fit gemacht werden für ihren pastoralen Einsatz. Ich sage allen immer: Die Zeit im Priesterseminar wird so gut, wie jeder sie selbst mitgestaltet.
DOMRADIO.DE: Wer im Priesterseminar lebt, hat meistens ein fünfjähriges Theologiestudium absolviert und während dieser Zeit im Bonner Collegium Albertinum gelebt. Es heißt, die daran anschließende Zeit im Priesterseminar ist eine Zeit der Prüfung und Vorbereitung auf den letzten Schritt. Was heißt das konkret?
Radermacher: Wer zu uns kommt, hat sich bereits entschieden. Trotzdem ist das Priesterseminar gewissermaßen der Lackmustest. Hier bleibt nochmals Zeit, die bereits getroffene Wahl unter realistischen Bedingungen zu prüfen und sich erneut die Frage nach der eigenen Berufung – auch der zur zölibatären Lebensform – zu stellen. Manche werden hier nochmals richtig durchgerüttelt, was zu einer Vertiefung und Festigung der Entscheidung führt. Dabei sind gerade die Praktika in den Gemeinden vor der Diakonen- und vor der Priesterweihe wichtig. Dann muss sich die Theorie in der Praxis bewähren, zum Beispiel wenn es ganz konkret darum geht, Menschen auf das Ehe- oder Bußsakrament vorzubereiten, oder sich selbst in der Caritasarbeit zu erleben, worauf wir großen Wert legen: etwa bei der Mitarbeit in einer Suppenküche für Obdachlose, in der Begleitung von Sterbenden im Hospiz, unter Drogenabhängigen oder bei der Straßenarbeit im sozialen Brennpunkt. Da machen die Seminaristen oft noch einmal wertvolle und prägende existentielle Erfahrungen.
DOMRADIO.DE: Was gehört außerdem noch mit zur Priesterausbildung?
Radermacher: Medienkunde und -pädagogik, wozu letztlich auch die eigene Wirkung vor der Kamera gehört, dann praktisches Kirchenrecht einschließlich aller Fragen im Kontext der kirchlichen Eheschließung, praktische Liturgie und eine kirchenmusikalische Ausbildung. Außerdem stehen wahlweise auch noch eine Ausbildung für Sekundarstufe I in der Schule oder ein katechetisches Projekt auf dem Lehrplan. Im Priesterseminar haben wir ein zehnköpfiges Dozententeam. Unsere Konferenzen dienen dazu, ehrlich, offen und wohlwollend unsere Eindrücke über jeden Priesteramtskandidaten zusammenzutragen und als Conclusio in meinen Bericht einfließen zu lassen – mit dem Ziel, zu einem belastbaren Votum für den Erzbischof zu kommen.
DOMRADIO.DE: Als Regens bzw. Ausbilder erleben Sie jeden Tag im engen Zusammenleben die ganz individuellen Stärken und Schwächen der jungen Leute, die Ihnen anvertraut sind. Auf welchen Teil der Ausbildung legen Sie besonderen Wert? Oder anders gefragt: Was fällt den Alumnen am schwersten?
Radermacher: In der Seminarzeit kommt nochmals alles auf den Prüfstein. Da schälen sich in der Konfrontation mit der pastoralen Praxis in den Gemeinden schon mal kleinere persönliche Macken heraus, an denen unter professioneller Begleitung gearbeitet werden muss. Es muss jeder Seminarist Klarheit haben über seine sexuelle Orientierung. Die zölibatäre Lebensform muss ohne Wenn und Aber bejaht werden. Und jeder hat vor der Weihe Gelegenheit, bei den sogenannten Skrutinien seine Motivation, Priester zu werden, mit dem Bischof in einem vertrauensvollen Vier-Augen-Gespräch darzulegen.
In der Regel sind die Seminaristen, was Alltagsplanung und Selbstsorge angeht, gut aufgestellt. Disziplinmangel kann ein Problem sein, denn natürlich wirkt sich das auf die Verlässlichkeit aus. Ob jemand zum Verkündigungsdienst berufen ist, zeigt sich schließlich nicht allein in seiner Fähigkeit zu predigen, sondern vor allem auch darin, wie er lebt und was er vorlebt. Das muss in der Summe ein authentisches Paket sein. Dazu gehört auch ein einfacher Lebensstil. Nur das schafft Glaubwürdigkeit in der Öffentlichkeit. Immer – egal in welchen Zusammenhängen – muss für andere erfahrbar sein: In der Begegnung mit einem Priester habe ich etwas von der Liebe Gottes gespürt. Genau das versuche ich den Seminaristen zu vermitteln. Da ich selbst 18 Jahre lang in der Pfarrseelsorge tätig war, weiß ich, worauf es ankommt.
DOMRADIO.DE: Noch viel länger aber sind Sie selbst schon Priester. Was hat Ihnen in den letzten 35 Jahren geholfen, wenn der Weg auch schon mal steinig wurde? Hilft es den Seminaristen, wenn Sie mit ihnen darüber sprechen, woran Sie sich in Krisenzeiten festgemacht haben?
Radermacher: Ich kann nur Priester sein, wenn ich eine tragfähige Beziehung zu Jesus Christus habe, die ihren Ausdruck auch in der täglichen Eucharistiefeier findet und im Gebet. Sonst ist diese Berufung nicht lebbar. In jedem Menschen gibt es einen Raum für ein "Du". Den muss ich füllen mit der Liebe zu Christus, gerade auch weil ich auf eine Frau verzichte. Wenn aber diese Freundschaft zu Christus ins Wanken gerät, helfen ein Beichtgespräch, Stille oder Exerzitien, die mir einen Raum eröffnen für eine Art "Revision de vie" und die Frage: Wo stehe ich? Wie geht es weiter? Mein Leben auch in der Gemeinschaft von Mitbrüdern offenzulegen, eine solche Krisensituation ins Wort zu bringen, kann sie schon ein Stück weit lösen.
Nicht selten wird das Alleinsein für die jungen Kapläne zum Problem, wenn es als Einsamkeit empfunden wird. Ich versuche dann, deutlich zu machen, wie wichtig es ist, die Kontakte zur Familie oder zu Freunden zu pflegen, eine offene Kaplanswohnung oder ein offenes Pfarrhaus zu haben und immer wieder selbst auch Menschen einzuladen auf ein Glas Wein oder mal zum gemeinsamen Kochen. Das schafft Beziehung und stiftet Gemeinschaft.
DOMRADIO.DE: Apropos kochen: Sie arbeiten auch an der Alltagstauglichkeit der Priesteramtskandidaten. Denn die meisten Priester haben heute keine Haushälterin mehr. Also gehört dazu auch ein Kochkurs – wie gesagt – Medien- und auch Sprecherziehung. Was hat sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten in der Priesterausbildung wesentlich verändert?
Radermacher: Insgesamt ist die Ausbildung sicher praxisbezogener geworden. Die Aufzeichnung einer theologisch korrekten Predigt wird heute auch auf ihre kommunikative Stärke hin analysiert. Mit dem Workshop "Smart-Camp", den wir jetzt erstmalig angeboten haben, prüfen wir die Nutzbarkeit der sozialen Medien für unsere Arbeit. Instagram, Twitter und Facebook in der Pastoral mit Jugendlichen einzusetzen kann neue Chancen eröffnen. Cyber-Mobbing ist ein Thema, das kein Fremdwort mehr sein darf. Also in diesem Bereich tut sich viel.
Überhaupt sind unsere aktuellen Priesteramtskandidaten Kinder ihrer Zeit. Das heißt, sie kommen aus großen Seelsorgebereichen und kennen das nicht anders, stellen also auch keine Vergleiche mit früher an oder verklären die guten alten Zeiten. Und wie viel Präsenz sie dann in diesen großen Einheiten selbst haben, wie bekannt sie am Ort sind, hat dann vor allem mit der eigenen Persönlichkeit zu tun. Zu meiner Zeit gab es damals noch ein Kaplanskonveniat; wir trafen uns regelmäßig und wussten umeinander. Der Zusammenhalt des Presbyteriums ist heute sicher schwieriger geworden, und es kostet mehr Mühe, Kontakte zu pflegen. Gemeinsam Zeit teilen aber ist so wichtig, denn alle haben Sehnsucht nach der Gemeinschaft unter Berufskollegen. Wenn ich die Kurse zum Konveniat in meine Wohnung einlade, versuche ich, ihnen Geschmack daran zu vermitteln und zu zeigen, wie einfach es ist, einen unterhaltsamen und erholsamen Abend im Kollegenkreis zu verbringen.
DOMRADIO.DE: Die Institution Kirche hat ein Imageproblem. Die Missbrauchsdebatte hat ihre Spuren hinterlassen. Es mehren sich die Stimmen, dass auch das aktuelle Priesterbild auf den Prüfstand muss. Fließt das, was momentan in Kirche und Gesellschaft diskutiert wird, auch in die Priesterausbildung ein?
Radermacher: Natürlich reden wir darüber, und es herrscht großes Entsetzen darüber, dass so etwas möglich war und ist. Außerdem bringt diese Debatte eine große Verunsicherung mit sich. Zum Beispiel: Wie verhalte ich mich bei der Beichte mit Kindern? Oder: Was ist zu tun, wenn wir selbst beschuldigt werden? Das sind Themen, die unter den Nägeln brennen und große Auswirkungen haben. Wir führen Präventionsschulungen durch und fordern ein erweitertes Führungszeugnis ein. Und ich biete Kolloquien über den priesterlichen Dienst und die damit verbundene Verantwortung an. Die Reflektion über den Missbrauch in der Kirche ist selbstverständlich ein sehr ernstes Thema für uns.
DOMRADIO.DE: Frühere Weihejahrgänge hatten eine starke Gemeinschaft im Rücken. Derzeit bereiten sich auf die Priesterweihe im Sommer sechs Kandidaten vor, davon zwei aus dem Seminar des Neokatechumenats, "Redemptoris Mater". Was bedeuten die deutlich rückläufigen Zahlen für den Einzelnen?
Radermacher: Die mitbrüderliche Gemeinschaft ist für Seminaristen und Priester unverzichtbar. Selbst wenn einem Weihejahrgang nur drei angehören, hat sie etwas Identitätsstiftendes über die Weihe hinaus. Denn gemeinsame Glaubenserfahrungen auf dem Weg zum Priesteramt bleiben zeitlebens ein tragendes Fundament. Die Seminaristen von "Redemptoris Mater" haben so etwas wie Familienkreise, in denen sie andocken und regelmäßig über das sprechen können, was sie bewegt. Eine solche Gemeinschaft ist eine große Stütze und Lebenshilfe. Auch im Erzbistum Köln überlegen wir immer wieder, solche Formen der Vita communis mit unterschiedlicher Ausgestaltung neu zu beleben. Im Alltag sollten Pfarrer und Kaplan auf Sichtweite miteinander sein und beispielsweise mit gemeinsamem Gebet und gemeinsamen Mahlzeiten einer potenziellen Vereinsamung entgegensteuern.
DOMRADIO.DE: Umfragen ergeben, dass die Menschen von Priestern verstärkt Seelsorge erwarten, also Unterstützung an den sogenannten Wendepunkten des Lebens. In Wahrheit aber müssen heute Leitende Pfarrer auch viel von Finanzen, Bauwesen und Personalführung verstehen. Diese "Managerqualitäten" führen mitunter zur Überforderung. Was glauben Sie, kann das Priesteramt dauerhaft wieder attraktiver machen?
Radermacher: Mit der Einführung von Verwaltungsleitern entlasten wir zunehmend die Priester, die nun delegieren können und mehr Zeit für ihre Kernaufgabe haben. Dennoch bleibt die Schlüsselfrage: Wie wächst der Glaube? Und hier geht es vor allem auch um Qualität und nicht immer allein um den Wunsch nach vollen Kirchen. Als Seelsorger bieten wir den Menschen ein Stück Weggeschichte im Glauben. Und was sich auf diesem gemeinsamen Weg mitunter ereignet, empfinde ich persönlich als großes Geschenk. Ein Beichtgespräch, in dem sich mir gegenüber jemand öffnet, ist eine Gnade. Und wenn er dann nach der Lossprechung rausgeht aus dem Beichtstuhl, ist es manchmal, als würden ihm Flügel wachsen. In welchem anderen Beruf erlebe ich denn so etwas? Auf diesen Reichtum wieder mehr zu schauen, kann den Beruf des Seelsorgers zukünftig sicher aufwerten.
DOMRADIO.DE: Die rückläufigen Zahlen an Priesteramtskandidaten sind für jeden Bischof eine Herausforderung. Was macht den Kern dieses Berufes aus, von dem es immer heißt, er sei weit mehr als nur das: nämlich eine Berufung…
Radermacher: Priester fallen nicht vom Himmel. Es sind junge Menschen: getauft, gefirmt, engagiert und mit Power. Menschen, die das Leben lieben und denen Gottes Liebe zu den Menschen am Herzen liegt. Der Fokus liegt darauf, von der Liebe Gottes zu erzählen: vom Sterben des Herrn, von seiner Auferstehung und von dem, was das bedeutet. Ja, die Zahl derer, die daran glaubt, schrumpft. Daher gehen proportional dazu auch die geistlichen Berufungen zurück. Wenn uns aber eine Neuevangelisierung oder der im Erzbistum angestoßene pastorale Zukunftsweg gelingen, wird sich das auch in Zahlen niederschlagen. Wo viel gebetet wird, fällt es dem Heiligen Geist auch leichter, Männer zu einem geistlichen Weg zu motivieren. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass in der Kirche nichts ohne den Willen Gottes geht. Gleichzeitig hängt kirchliches Leben nicht allein von der Anzahl der Priester ab, sondern von allen Getauften und Gefirmten. Ich verstehe die gegenwärtige Krise als einen Coup des Heiligen Geistes, der uns damit etwas sagen will. Nur dass wir noch nicht wissen, was…
Das Interview führte Beatrice Tomasetti (DR)