Das versprengte Demonstranten-Grüppchen vor dem Marriott-Waterfront-Hotel in Baltimore täuscht über die gewaltige Aufgabe hinweg, vor der die mehr als 300 dort versammelten Bischöfe stehen. Viel zu lange schon hat sich die katholische Kirche in den USA nach Ansicht vieler Beobachter Zeit gelassen, um eine angemessene Antwort auf die Missbrauchskrise zu formulieren.
Eigentlich wollten die US-Bischöfe bereits bei ihrem Herbsttreffen im November ein Maßnahmenpaket gegen sexuellen Missbrauch beschließen. Doch am Tag der geplanten Abstimmung über den Aktionsplan wurde das Verfahren überraschend ausgesetzt. Zur Begründung hieß es, der Vatikan habe darum gebeten, den internationalen Anti-Missbrauchsgipfel im Februar in Rom abzuwarten.
Endlich Missbrauchsfälle aufarbeiten
In einem Schreiben erläuterte nun der päpstliche Nuntius in den Vereinigten Staaten, Erzbischof Christophe Pierre, die damalige Entscheidung: "Ein vorschneller Schritt, selbst der Transparenz wegen, ist niemals eine Garantie für ein gerechtes und gutes Resultat." Es sei notwendig gewesen, den Gipfel im Vatikan abzuwarten. "Die ganze Kirche muss gemeinsam handeln und in einer synodalen Weise zusammenwirken", so Pierre.
Der Vorsitzende der US-Bischofskonferenz, Kardinal Daniel DiNardo, der im November von der Intervention aus dem Vatikan kalt erwischt wurde, schlug zum Auftakt des bis Freitag dauernden Treffens in Baltimore versöhnliche Töne an. Mit Blick auf die sich abzeichnende Lösung sprach er von "einem gewissen Maß an Hoffnung auf Erleuchtung". Die Kirche mache weiter, "bis es keinen einzigen Missbrauchsfall mehr gibt".
Umsetzung der neuen Richtlinien
Die Bischöfe stehen vor der Aufgabe, neue Leitlinien des Papstes auf nationaler Ebene durchzusetzen. Franziskus selbst verschärfte kürzlich die Kirchenrechtsnormen im Kampf gegen sexuellen Missbrauch durch Geistliche. Ein im Mai veröffentlichtes Gesetz sieht neue Verfahrensweisen für die Strafanzeige vor und führt unter anderem eine weltweite Anzeigepflicht ein.
Erstmals regelt es die Untersuchung gegen Bischöfe, die Ermittlungen vertuscht oder verschleppt haben. Vor allem der Skandal um Ex-Kardinal Theodore McCarrick offenbarte in dieser Frage zuletzt eine gravierende Lücke. Zudem verpflichtet das sogenannte Motu Proprio des Papstes mit dem Titel "Vos estis lux mundi" (Ihr seid das Licht der Welt) die kirchlichen Stellen, die staatlichen Strafermittler bei ihrer Arbeit zu unterstützen. Zudem müssen alle Diözesen bis spätestens Juni 2020 ein leicht zugängliches Meldesystem für Anzeigen einrichten.
Aufspüren von Unterlassung
Zu den wichtigsten Neuerungen gehört ein Verfahren, um mögliche Unterlassungen von Verantwortlichen aufzuspüren. Für entsprechende Voruntersuchungen gegen Bischöfe erhalten die Metropolitan-Erzbischöfe, die jeweils einer Kirchenprovinz vorstehen, eine besondere Rolle. Am ersten Konferenztag in Baltimore wurde im Wesentlichen über die Frage diskutiert, wie stark Laien in diesen Prozess eingebunden werden sollen.
Der Vorsitzende der kirchlichen Laienkommission "National Review Board", Francesco Cesareo, drängte die Bischöfe in Sachen Missbrauchsaufarbeitung zu strengeren Regeln, strikten Überprüfungen bei Vorwürfen und einer stärkeren Einbindung der Laien. Die US-Kirchenführer hätten die einmalige Gelegenheit, weltweit ein Beispiel zu geben, "wie Bischöfe und Laien zum Wohl der Kirche gemeinsam Verantwortung übernehmen können".
Schleppende Ermittlungen
Der Bostoner Kardinal Sean O'Malley, Vorsitzender der Päpstlichen Kinderschutzkommission, äußerte Ungeduld. Nach den derzeit vorliegenden Vorschlägen dauere es viel zu lange, ehe Ermittlungen gegen mutmaßliche Täter eingeleitet würden. Einen Monat zu warten, sei "weit von der üblichen Praxis solcher Fälle in den USA entfernt".
Dies könnte als Gefährdung junger Menschen aufgefasst werden, gab der Kardinal zu bedenken. Die Bischöfe werden voraussichtlich am Donnerstag über die zum Thema Missbrauch vorliegenden Anträge abstimmen.