Die wuchtigen Veränderungen auf dem Feld der Geschlechterordnung gehen auch an der katholischen Kirche nicht spurlos vorüber. Die Vielfalt sexueller Orientierungen und Identitäten betrifft sie zudem ganz unmittelbar: Menschen mit unterschiedlichen sexuellen Orientierungen oder Geschlechtsidentitäten sind ihre Mitglieder, besuchen ihre Schulen, sind Lehrpersonen, Geschwister oder Eltern von Schülerinnen und Schülern.
Daher wird erwartet, dass die Kirche, die weltweit im Bildungssystem sehr präsent ist, Stellung bezieht zu den Umbrüchen im Bereich der menschlichen Geschlechtlichkeit.
Von einem Weg des Dialogs die Rede
Das jüngste Dokument der Glaubenskongregation ("Männlich und weiblich schuf er sie") ist in diesem Zusammenhang als der Versuch zu verstehen, auf dem Feld von "Gender" Bildungs-Kompetenz zu beweisen. Ausdrücklich ist dabei von einem Weg des Dialogs die Rede. Das setzt voraus, dass man sich als Instanz begreift, die etwas zu geben und etwas zu empfangen hat. Präsentiert wird jedoch leider ein verzerrtes bis zuweilen falsches Bild von der menschlichen Geschlechtlichkeit.
Es scheint nicht sein zu dürfen, was nicht sein soll. Was z. B. über die Phänomene (nicht Ideen!) der Inter- und Transsexualität gesagt wird, unterbietet den heutigen Wissensstand. Statt sich mit der Komplexität menschlicher Geschlechtlichkeit und deren natürlichen Varianten auseinanderzusetzen, wird die Bestimmung männlicher und weiblicher Körper einseitig von der Fähigkeit zur Fortpflanzung her definiert.
Es bleibt eine zwiespältige Botschaft
Resultat ist eine zwiespältige Botschaft. Einerseits betont man – und das ist im globalen Kontext von großer Bedeutung – die gleiche Würde aller Menschen und fordert deren Respekt und Schutz, andererseits verweigert man sexuellen Minderheiten faktisch die Anerkennung ihres je spezifischen leiblichen Soseins. Niemand wählt beliebig seine sexuelle Orientierung oder Identität. Aber jeder hat das Recht auf sexuelle Integrität und Selbstbestimmung.
Im Dokument der Bildungskongregation werden in das biologische Faktum der Zweigeschlechtlichkeit des Menschen weitreichende moralische Botschaften hineininterpretiert. Doch so einfach funktionieren ethische Begründungen nicht. Wenn Vorurteile Erkenntnisprozesse blockieren, nimmt die Moral Schaden.
Ein vorsichtiger Schritt auf dem Weg zum Dialog zwischen Lehramt und Gender-Theorie ist zweifelsohne gemacht. Gegenüber dem Wissen über Sex und Gender und der Ethik des Geschlechterverhältnisses aber liegt weiterhin eine große Holschuld auf Seiten der Kirche.
Information zum Autor: Prof. Stephan Goertz ist Professor für Moraltheologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Johannes Gutenberg-Universität Mainz