Misereor-Experte zur Kölner Schuldenerlass-Initiative von 1999

"Eine dauerhafte Entschuldung hat nicht funktioniert"

Vor 20 Jahren gelang es beim Kölner G8-Gipfel, einen ambitionierten Prozess zur Reduzierung der Schuldenlast hochverschuldeter armer Länder in Gang zu setzen. Das Hilfswerk Misereor blickt auf das Gelingen des Vorhabens.

Symbolbild Schulden / © Perfectlab (shutterstock)

KNA: Die Schuldenerlass-Initiative des Kölner Gipfels gilt heute als Meilenstein in der globalen Entwicklungspolitik. Teilen Sie diese Sichtweise?

Klaus Schilder (Experte für Entwicklungsfinanzierung des katholischen Hilfswerks Misereor): Beim Blick auf die Zahlen ergibt sich in der Tat eine Erfolgsgeschichte. Der eigentliche Startschuss für die sogenannte HIPC-Initiative fiel ja bereits 1996, die entscheidende Weichenstellung erfolgte aber in Köln. Inzwischen sind von 39 qualifizierten Ländern 36 entschuldet worden - mit einem Gesamtvolumen von 120 Milliarden US-Dollar. Das ist schon eine stattliche Bilanz. Allerdings war der Erfolg von Fall zu Fall unterschiedlich.

KNA: Welche Länder haben wirklich profitiert?

Schilder: Sehr gut geklappt hat der Prozess etwa in Bolivien. Dort kam die Entschuldung der einheimischen Bevölkerung zugute. Das lag vor allem an dem vom Schuldnerland verlangten Strategiepapier zur Armutsbekämpfung (PRSP). Diese Bedingung war ein wesentliches Merkmal der Kölner Vereinbarungen. In Bolivien gab es auf dieser Grundlage eine fruchtbare gesellschaftliche Debatte, an der nicht zuletzt die katholische Kirche beteiligt war. Am Ende hat die bolivianische Regierung die vereinbarten Projekte auch umgesetzt. Deshalb gilt das Land heute als eine Art Leuchtturm in Sachen Schuldenerlass.

KNA: Wo war die Initiative ein Fehlschlag?

Schilder: Es gab in bestimmten Ländern wie Malawi oder Tschad gar keine ernsthaften Bemühungen, die frei werdenden Mittel für produktive Zwecke oder Investitionen in soziale Grunddienste einzusetzen.

KNA: Gibt es auch positive Beispiele aus Afrika?

Schilder: Es gibt eine ganze Reihe von afrikanischen Ländern, die profitiert haben. Wenn man sich die jetzige Situation ansieht, muss man allerdings sagen, dass davon nur Senegal und Tansania nicht erneut kritisch verschuldet sind. 20 Jahre nach dem Vorstoß von Köln wird also deutlich, dass eine dauerhafte Entschuldung meist nicht funktioniert hat. Wir haben es inzwischen nicht nur mit einer dramatischen Zunahme der Verschuldung zu tun, sondern mit einer gewaltigen Schuldenkrise im Globalen Süden. Der Misereor-Schuldenreport 2019 kommt auf 122 kritisch verschuldete Länder.

KNA: Was sind die Ursachen für diesen besorgniserregenden Trend?

Schilder: Geld ist wegen der aktuellen Niedrigzins-Phase noch nie so billig gewesen. Die Kapitalverfügbarkeit seit der Weltfinanzkrise hat dazu geführt, dass große Summen zu teils unrealistischen Renditeversprechen vom Norden in den Süden geflossen sind. Das heißt, viele Entwicklungsländer haben sich immer stärker verschuldet. Dazu kommen noch hausgemachte Probleme wie der Preisverfall der Rohstoffe, deren Export eine wichtige Einnahmequelle ist. Oft spielen Naturkatastrophen eine Rolle - wie der verheerende Zyklon Idai in Mosambik. Dadurch entstehen Kosten, die in keiner Weise durch den Staatshaushalt aufgefangen werden können.

KNA: Gehört zu den hausgemachten Problemen nicht ebenso das Phänomen Korruption und Misswirtschaft in den öffentlichen Haushalten?

Schilder: Das ist in solchen Ländern sicherlich immer eine Herausforderung. In Mosambik beispielsweise kam zeitgleich zur Naturkatastrophe noch die Aufdeckung dubioser Geheimkredite hinzu: Zwei halbstaatliche Unternehmen hatten aus dem Ausland Privatkredite in Höhe zwei Milliarden US-Dollar aufgenommen, ohne sie in der offiziellen Verschuldungsbilanz zu verzeichnen. Als dann bekannt wurde, dass die Mittel schlicht veruntreut wurden, musste der Staat haften. Das Ergebnis ist eine dramatische Finanzkrise in Mosambik, wo sich die Auslandsverschuldung durch den Skandal faktisch verdoppelt hat.

KNA: Was kann man tun, um ein solches schuldenpolitisches Desaster zu verhindern?

Schilder: Eine unserer Forderungen ist, dass alle Auslandskredite in einem öffentlichen Schuldenregister eingetragen und letztlich bei der Haushaltsplanung berücksichtigt werden müssen.

KNA: Was braucht man noch, um die sich abzeichnende Schuldenkrise in den Griff zu kriegen?

Schilder: Wichtig sind zunächst einmal wirksame Mechanismen. Transparenz ist nur der erste Schritt. Für Akutsituationen benötigen wir ein Schuldenmoratorium und darüber hinaus ein international geregeltes Staateninsolvenzverfahren. Das würde alle Gläubiger an einen Tisch bringen. Leider hat China, der größte Gläubiger in Afrika, sich einer solchen Regelung bislang entzogen.

KNA: Gibt es aus Ihrer Sicht eine ethische Pflicht zum Schuldenerlass?

Schilder: Ja, selbstverständlich! Es geht uns darum, so etwas wie das biblische Erlassjahr in einen politischen Rahmen zu bringen. Denn eine Schuldenkrise ist nicht nur eine Finanzkrise, es ist vor allem eine humanitäre Krise. Es ist die Bevölkerung, die leidet.

KNA: Sehen Sie realistische Chancen für eine nachhaltige Lösung auf internationaler Ebene?

Schilder: Wir haben nur wenig Hoffnung, dass in absehbarer Zeit der politische Wille für eine neue multilaterale Verhandlungsrunde zustande kommt.

Das Interview führte Alexander Pitz.


Logo des Bischöflichen Hilfswerks Misereor in einem Schaufenster / © Julia Steinbrecht (KNA)
Logo des Bischöflichen Hilfswerks Misereor in einem Schaufenster / © Julia Steinbrecht ( KNA )
Quelle:
KNA