DOMRADIO.DE: Die beiden Gräber auf dem deutschen Pilgerfriedhof "Campo Santo Teutonico" in Rom, die an diesem Donnerstag geöffnet werden sollen, gehören zu Personen, die im 18. und 19. Jahrhundert gestorben sind. Warum schaut man ausgerechnet dort nach?
Stefan von Kempis (Journalist bei Vatican News): Offenbar hat Pietro Orlandi, der große Bruder der verschwundenen Emanuela, irgendwelche Hinweise aus anonymer Quelle darauf bekommen, dass gerade in diesen zwei Gräbern auf dem deutschen Friedhof im Schatten von Sankt Peter irgendwelche sterblichen Überreste von seiner verschwundenen Schwester Emanuela ruhen könnten. Die ganze Sache ist sehr vage.
Nun höre ich aber vom Campo Santo, dass es da immer wieder Umbauarbeiten gegeben hat und dass in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder diese älteren Gräber für Restaurierungen geöffnet worden sind. Darauf stützt sich offenbar die "Hoffnung" der Familie Orlandi. Denn es könnten sterbliche Überreste von Emanuela in einem dieser beiden historischen Gräber versteckt worden sein.
Es klingt alles ziemlich verzweifelt, muss ich sagen. Man hat ja auch schon vergeblich in einem Grab einer Kirche in der Nähe von Piazza Navona gesucht. Es ist schwer zu sagen, was von solchen Hinweisen zu halten ist und ob die Familie weiter an der Nase herumgeführt wird. Es ist jedenfalls ein perfides Spiel mit dieser Ungewissheit, was eigentlich mit Emanuela damals 1983 wirklich passiert ist.
DOMRADIO.DE: Jetzt wird erst mal nachgesehen. Sie haben über den Fall mit einem Forensiker gesprochen. Wie sicher und wie schnell kann man denn überhaupt herausfinden, ob Emanuela Orlandi in diesen Gräbern liegt?
Kempis: Der verantwortliche forensische Anthropologe, Giovanni Arcudi, hat in einem Interview gesagt, er könne sehr schnell erkennen, ob Knochen von Emanuela in dem Grab sind oder stattdessen ungefähr 100 oder 150 Jahre alte Skelettüberreste. Sowas sehe man als Experte sehr schnell.
Natürlich mache man von allem zur Sicherheit noch einen DNA Abgleich, aber er könne schon nach kurzer Zeit sagen, ob Skelettreste drin sind, die erst 20 bis 30 Jahre alt sind. Ich persönlich glaube allerdings nicht, dass man irgendwelche Knochenreste von Emanuela finden wird. Ich fürchte, dieses Drama, diese Ungewissheit, dieses Bangen wird einfach noch weiter gehen.
DOMRADIO.DE: Sie halten eine Aufklärung nach über 30 Jahren für schwer möglich?
Kempis: Ich kenne die Familie Orlandi. Mein Sohn war mit dem jüngsten Sohn von diesem Bruder von Emanuela in einer Klasse. Auch in Rom ist die Welt manchmal klein. Ich sehe diese Tragik in der Familie, diese Ungewissheit, die an ihnen zieht und zerrt.
Wir haben einen Schweigemarsch am Jahrestag des Verschwindens der 15-jährigen Emanuela organisiert. Und da liefen, was mich wirklich nachhaltig beeindruckt hat, auch die ganzen Lehrer von der Klasse meines Sohns mit. Die haben natürlich damals auch dieses Verschwinden von Emanuela so traumatisch erlebt. Ich würde es der Familie wünschen, dass sich mal ein Hinweis ergibt, aber bisher ist da wirklich seit 1983, das muss man sich mal vorstellen, überhaupt nichts Handfestes gekommen. Der Fall ist wirklich ein Rätsel.
Das Interview führte Heike Sicconi.