Von Pflege, Glaube und Religion

"Es bleibt am Ende immer die Menschenwürde"

​Beim Thema Pflege spielen Glaube und Religion eine entscheidende Rolle. Umso wichtiger ist eine Vernetzung der Träger über weltanschauliche Grenzen hinweg. Verschiedene Einrichtungen in Berlin leben das bereits.

Autor/in:
Rocco Thiede
Symbolbild Altenpflege (shutterstock)

"Pflege ist eine große Klammer bei den Weltreligionen. Ich glaube, es gibt keine Religion, die nicht der Hilfe für den Nächsten eine große Bedeutung beimisst", sagt Frank Schumann.

Der gelernte Krankenpfleger arbeitet bei der Diakonie und ist Projektleiter einer besonderen Einrichtung, in der Kirche und Staat kooperieren. "Die Fachstelle für Pflegende Angehörige ist ein Berliner Spezifikum", erklärt Schumann. Als Stabsstelle der Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung wird sie durch den Berliner Senat finanziert. Träger ist das Diakonische Werk Berlin Stadtmitte.

Schumann ist fest davon überzeugt, dass pflegende Angehörige mehr Wertschätzung und Aufmerksamkeit von Gesellschaft und Politik benötigen. Für ihn ist das, was diese Millionen Menschen in Deutschland tun, ein "Dienst an der Gesamtgesellschaft. Pflege ist keine Randnotiz des Lebens."

Eine wichtige Rolle spielen dabei auch das Thema Religion und Glaube.

"Verschiedene Studien deuten darauf hin, dass Religiosität eine Kraftquelle bei der Pflege eines Familienangehörigen darstellen kann", sagt Claudia Schacke, Professorin für Soziale Gerontologie an der Katholischen Hochschule für Sozialwesen Berlin. Ein wesentliches Element bei der Bewältigung einer solch herausfordernden Lebenssituation sei die Sinnfindung.

"Wird die Pflegeanforderung als sinnhafte Episode des eigenen Lebens angenommen und integriert, fällt der Umgang mit den entsprechenden Herausforderungen leichter", so Schacke. Doch das Thema ist auch auf Seiten der Pflegebedürftigen wichtig.

"Pflegebedürftigkeit macht vor keiner Kultur, Weltanschauung oder Religion halt", betont Samira Tanana vom Berliner Kompetenzzentrum Interkulturelle Öffnung der Altenhilfe. Die in Berlin geborene Muslimin mit palästinensischen Wurzeln ist in ihrer Einrichtung für die Koordination der Pflege zuständig.

Viel Handlungsbedarf

Zusammen mit ihren Kolleginnen schult sie Pflegekräfte. Sie bieten zum Beispiel Workshops an, damit sich Pfleger und Pflegeeinrichtungen für die Bedürfnisse von Menschen mit Migrationshintergrund öffnen.

Ein Bereich in dem Tanana noch viel Handlungsbedarf sieht: "Es fehlen Pflegeheime mit interkultureller sowie kultursensibler Ausrichtung".

Denn beim Thema Pflege für Menschen mit muslimischem Glauben gibt es einiges zu beachten.

"Ganz wichtig ist natürlich das Essen", erklärt Tanana. Dass Muslime kein Schweinefleisch essen, wüssten die meisten. "Das Fleisch muss aber auch halal sein. Es gibt ja verschiedene Schlachtungsrituale", klärt sie auf. Auch ein besonderer Waschraum für rituelle Waschungen vor dem Gebet sei wichtig, "und dass man von einem Pfleger oder Pflegerin betreut wird, je nachdem, ob man Mann oder Frau ist".

Als sozialpädagogische Fachkraft hat Tanana einen zusätzlichen Berufsabschluss für die Pflege von Demenzpatienten erworben. Ein Schwerpunkt ihrer Arbeit besteht in der Vernetzung mit anderen Wohlfahrtsverbänden und den christlichen Kirchen: "Wir sind regelmäßig mit den Kirchengemeinden im Gespräch und haben gute Kontakte zur Caritas". Diese und die Arbeiterwohlfahrt sind die Träger des Interkulturellen Kompetenzzentrums. Auch zur jüdischen Gemeinde versuche sie gerade einen Kontakt aufzubauen.

Unterstützung statt Konkurrenz

Die Zusammenarbeit der Freien Wohlfahrtsträger hat sich nach Einschätzung von Sylvia Svoboda wesentlich verbessert. Sie ist Pflegedirektorin bei den Sozialdiensten der Volkssolidarität in Berlin. Einst befand man sich in einer Konkurrenzsituation. Heute unterstützt man sich in den Netzwerken. "Wenn wir zum Beispiel beim ambulanten Hospizdienst keine ausreichenden Kapazitäten haben, weil alle Ehrenamtlichen im Einsatz sind, dann kooperieren wir und rufen Hospizdienste von anderen Trägern an - ob von der Diakonie oder vom Jüdischen Verein, das ist vollkommen egal. Wir unterstützen uns, weil jeder Träger die Not der Angehörigenarbeit kennt und wertschätzt."

Svoboda ist für 18 ambulante und stationäre Einrichtungen in Berlin zuständig. Neben Seniorenheimen und Senioren-WGs gehören auch Angebote für Menschen mit Demenz dazu. Die Volkssolidarität in der Hauptstadt ist zwar konfessionell ungebunden, aber "wenn der Bedarf für die Krankensalbung besteht oder das Gespräch mit einem Pastor gewünscht wird, dann kümmern wir uns".

Mit dieser Pragmatik arbeitet auch ihr Kollege Frank Schumann von der Diakonie. "Natürlich ist es hilfreich, wenn man aus einem christlichen Background heraus das Thema Pflege und Familie betrachtet", meint er. Aber ob jemand einen evangelisch-christlichen, einen katholisch-christlichen oder einen humanistischen Hintergrund hat sei für die Arbeit mit zu pflegenden Menschen oder mit pflegenden Angehörigen letztlich egal.

Auch Sylvia Svoboda argumentiert in diese Richtung: "Wenn man die Angehörigenarbeit im Hospiz beobachtet, dann kann man diesen Hospizdienst einfach als Weltfrieden bezeichnen." Es gehe letztlich darum, Menschen bedürfnisgerecht den letzten Willen zu erfüllen. "Ob das ein Protestant ist, der einen Pfarrer braucht, oder ein Jude, der den Rabbiner sehen möchte - das ist vollkommen egal. Es bleibt am Ende immer die Menschenwürde."


Quelle:
KNA