Erzbischof Stephan Burger findet klare Worte: umfassendes Versagen der Institution Kirche; Transparenz und Aufklärung ohne Rücksicht auf den Schutz von Personen und kirchlichen Institutionen; die Interessen der Opfer ins Zentrum rücken.
Im vergangenen Herbst machte eine bundesweite Studie das Ausmaß von sexuellem Missbrauchstaten durch Priester und Seelsorger deutlich. Auch im Südwesten, wo es Hinweise auf 190 Beschuldigte und 442 Betroffene gab. Am Mittwoch hat Burger gemeinsam mit der im September berufenen diözesanen Experten-Kommission "Macht und Missbrauch" erste konkrete Ergebnisse vorgelegt.
800 Euro "Missbrauchsrente"
So will die drittgrößte deutsche Diözese als erstes Bistum in Deutschland in Einzelfällen Missbrauchsopfer auch mit monatlichen Zahlungen unterstützen. Sexueller Missbrauch an Minderjährigen habe lebenslange Folgen und könne die Existenz gesundheitlich und beruflich stark beeinträchtigen, sagte Burger. Darauf reagiere das neue Unterstützungsangebot in Höhe von monatlich bis zu 800 Euro. Es soll auf Personen beschränkt sein, die infolge des erlittenen Missbrauchs "bedürftig" sind, also nicht für ihren Lebensunterhalt aufkommen können. Die entsprechende Ordnung soll spätestens zum 1. Januar 2020 in Kraft treten.
Zügige Vermittlung an Therapeuten
Zusätzlich besteht weiterhin die Möglichkeit, Einmalzahlungen als "Anerkennung für erlittenes Leid" zu beantragen. Hier sieht die neue Ordnung einen Regelbetrag von 5.000 Euro vor, eine Erhöhung auf bis zu 30.000 Euro ist möglich. Zugleich sollen Betroffenen von sexueller Gewalt künftig schneller und pragmatischer einen geeigneten Therapeuten finden. Das sind weiter gehende Angebote als in vielen anderen Bistümern.
Neben der Opferhilfe untersucht die Freiburger Kommission auch die Strukturen, die Missbrauch ermöglichen oder begünstigen. Ein Schwerpunkt liegt auf der Aufarbeitung von zwei schweren Fällen sexuellen Missbrauchs im Südwesten: Im badischen Oberharmersbach missbrauchte ein inzwischen verstorbener Priester über Jahre mindestens 25 Kinder und Jugendliche. Und mehrere Mönche der Bodensee-Wallfahrtskirche Birnau werden schwerer sexueller Übergriffe beschuldigt, wobei bislang noch unklar ist, wie viele Kinder hier missbraucht wurden. "Wir stehen hier noch mitten in der komplizierten Aufarbeitung", so Kommissionsmitglied Edgar Villwock.
"Decke des Schweigens" durchdringen
Unklar ist beispielsweise bis heute, wer für die Birnau-Patres die letzte disziplinarische Verantwortung hatte: ihr Orden - die Zisterziensier im österreichischen Mehrerau - oder das Erzbistum Freiburg. "Wir werden hier zur Klärung ein unabhängiges Gutachten einholen", kündigte Villwock an. Danach könne es dann darum gehen, mögliche Verantwortliche zur Rechenschaft zu ziehen. Es gelte, die "Decke des Schweigens" zu durchdringen. "Auch haben wir klare Hinweise darauf, dass Akten manipuliert wurden.
Im Fall von Oberharmersbach ist sogar die gesamte Personalakte des betreffenden Pfarrers nicht auffindbar", so Villwock. Einige Lücken hätten nun durch eigene Recherchen und Zeugenbefragungen geschlossen werden können. Ein Abschlussbericht für Oberharmersbach und Birnau soll im kommenden Jahr vorliegen.
Rückfälle wahrscheinlich
Eine weitere Untergruppe der Kommission widmet sich der Gruppe der "Gefährder" - also den Priestern, die in der Vergangenheit bereits des Missbrauchs oder der Grenzverletzung überführt wurden. "Wir wissen, dass dies ein provokanter Begriff ist. Aber die Forschung zeigt eindeutig, dass etwa bei pädophilen Missbrauchstätern eine hohe Rückfallgefahr besteht", so Kommissionsmitglied Helmut Kury. Zugleich mahnte der Kriminologe, dass Kirche auch eine Verantwortung habe, frühere Täter nicht einfach fallen zu lassen.
Die Missbrauchsbeauftragte des Bistums, Angelika Musella, betonte, dass sie seit 2011 bistumsweit nur noch sechs Meldungen zu aktuellen Vorwürfen erhalten habe. Dabei sei es zumeist um Grenzverletzungen gegangen, die Taten seien damit nicht strafrechtlich relevant gewesen. Kommissionsmitglied und Psychotherapeutin Gisela Hogeback bezeichnete es als Ansporn, diese "Nulllinie" möglichst lange zu halten. Dazu dürfe es aber kein Nachlassen bei den Präventionsanstrengungen geben.