DOMRADIO.DE: Es geht um die Frage der Härtefälle. Das Innenministerium hat vor genau einem Jahr die Richtlinien verschärft. Was hat sich in Ihrer Arbeit verändert?
Marianne Arndt (Mitglied im Netzwerk "Asyl in der Kirche" und Gemeindereferntin in Köln): Für uns ist es denkbar schwierig, gerade im Hinblick auf die Dublin-Regelung und auf die Situation, dass das Kirchenasyl als Untertauchen gilt, obgleich es ja gar kein Untertauchen ist.
Denn es wird über jede Familie oder Personen, die im Kirchenasyl ist, ein Dossier erstellt. Das wird über das katholische Büro des jeweiligen Landes an die Landesinnenminister übergeben. Somit sind die Menschen nicht untergetaucht. Wir haben zum Teil Erfolge damit erzielt, dass klar ist, dass sie nicht untergetaucht sind und damit auch die Verlängerung des Anspruchs auf ein Asylverfahren auf 18 Monate nicht gilt.
DOMRADIO.DE: Die Diskussion dreht sich vor allem um die Härtefallregelung. Nur drei Fälle von denen, die geprüft wurden, sind tatsächlich durchgekommen. Was bedeutet es für die Menschen, nach dieser Härtefallregelung behandelt zu werden?
Arndt: Der Härtefall ist im Grunde genommen eine ganz schlimme Situation. Ich betreue gerade eine Familie, afghanische Staatsangehörige, die 2015 aus dem Iran geflohen ist und in der Türkei zersplittert wurde. Ein Teil der Familie landete in Schweden, ein anderer Teil in Deutschland. Die in Deutschland Angekommenen haben subsidiären Schutz erhalten. Die in Schweden sollen nach Afghanistan abgeschoben werden, obwohl ein Teil der Familie aufgrund des Krieges gar nicht in Afghanistan gelebt hat.
Sie haben versucht nach Deutschland zu kommen, sind in Deutschland gewesen und sollten auf ganz prekäre Art und Weise letzte Woche Mittwoch nach Afghanistan beziehungsweise Schweden abgeschoben werden. Eine Mutter ist getrennt worden von ihren drei- und sechsjährigen Kindern. Sie ist nachts um 3 Uhr gefesselt und ohne Übersetzer aus ihrer Unterkunft herausgeholt worden.
Dieser Familie gehört Recht gesprochen. Sie ist ungleich ein Härtefall. Wir wissen noch gar nicht, wie wir weiter vorgehen. Wir finden keinen Platz im Kirchenasyl, weil die Hürden so groß gesetzt worden sind.
DOMRADIO.DE: Die Menschen haben teilweise auch Angst ins Kirchenasyl zu gehen.
Arndt: Die Menschen haben Angst ins Kirchenasyl zu gehen, weil sie nicht wissen, wie sicher es ist. Auch viele Gemeinden haben Sorge, weil die Hürden so hoch gesetzt worden sind. Die katholischen Büros, auch bei uns in Düsseldorf, haben doch sehr große Bedenken.
DOMRADIO.DE: Der damalige Innenminister de Maiziere hat schon vor Jahren das Kirchenasyl kritisiert. Erst diese Woche kamen scharfe Worte von FDP-Vize Stephan Thomae. Der sagt, das Kirchenasyl stamme aus einer Zeit, als es keine ordentlichen Staatsordnungen gab, und ist uns heute deshalb „rechtsfremd“. – Sie kommen aus der Praxis. Was entgegnen Sie? Sollte nicht der Staat darüber entscheiden, was mit den Menschen passiert, die nach Deutschland flüchten?
Arndt: Das Rechte eines Landes gilt für das gesamte Land. Aber die Frage ist ja: Wie wird das Recht gemacht? Und wie willkürlich werden Gesetze verändert, um sie passend zu machen für den jeweiligen Staat? Wir erleben es gerade in anderen Staaten - Gott sei Dank nicht in dem Maße in Deutschland -, aber wenn man sich ansieht, wie das Asylrecht in den letzten 25 Jahren geschmälert wurde, gibt es das Grundrecht auf Asyl eigentlich nicht mehr.
Deshalb finde ich es wichtig, dass wir als Kirche mutig nach vorne zeigen und Menschen schützen. Zumal 86 Prozent der Kirchenasyl-Fälle in NRW in Bezug auf die Dublin-Regelung positiv beschieden worden sind - die Geflüchteten alos in Deutschland einen Asylantrag stellen konnten. Das zeigt, dass es eine notwendige Maßnahme ist, Asyl in der Kirche zu gewähren.
DOMRADIO.DE: Es ist bis jetzt nicht so, dass die Polizei in die Kirchen geht. Aber vor Kurzem gab es den Fall eines evangelischen Pfarrers aus Bayern, der 4.000 Euro Strafe zahlen musste, weil er Kirchenasyl gewährt hat. Was raten Sie den Gemeinden, die Angst haben, auch in so eine Situation zu kommen?
Arndt: Ich glaube, wir können davon lernen, was die deutsche Kapitänin Carola Rackete vor einigen Wochen gemacht hat. Sie ist mutig vorangegangen, um Leben zu schützen. Wir als Kirchen - gerade als katholische Kirche - sollten diesen Mut haben. Wir sind eine so große Institution. Wir brauchen keine Angst zu haben. Wenn es uns dann ereilt, dass wir Strafe bezahlen müssen, dann müssen wir versuchen, damit klarzukommen.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.