DOMRADIO.DE: 17 Religionen versammeln sich von Dienstag bis Freitag unter einem Dach. Wie muss man sich das vorstellen? Wie kommen die miteinander ins Gespräch?
Wolfgang Schürer (Vorsitzender der Stiftung Friedensdialog der Weltreligionen und Zivilgesellschaft): Die Vertreter dieser 17 Weltreligion sind bereits im Gespräch. Denn das Einzigartige der Weltversammlung ist, dass es eine Serie von Vorkonferenzen auf allen Kontinenten gibt. Salopp gesagt: Die "Bodentruppe Gottes" der verschiedenen Weltreligionen arbeitet vor Ort zusammen.
Das heißt, es gibt gemischte religiöse Gruppen in Nigeria, genauso wie in Argentinien, Europa oder Afrika. Die Teilnehmer arbeiten seit längerer Zeit zusammen. Es kommen immer wieder neue hinzu. Einer der Schwerpunkte der diesjährigen Tagung ist der Beitrag von Frauen aus verschiedenen religiösen Traditionen zum Frieden.
DOMRADIO.DE: Sie wollen nicht nur reden, sondern auch greifbare Ergebnisse erstreiten in dieser Gruppe. Was ist in Lindau geplant? Könne Sie Beispiele nennen?
Schürer: Es treffen sich Vertreter von Konfliktparteien, die versuchen auszuloten, wie man zur Konfliktereduktion oder -überwindung beitragen kann. Ein Stichwort dazu sind die sogenannten Track Two Meetings (Anm.d.Red.: Gespräche auf nichtstaatlicher Ebene) zu Themen wie Myanmar oder Nord- und Südkorea.
Weiterer Schwerpunkt ist eine Initiative zum Thema "Schutz heiliger Stätten", bei der die Vertreter aller Weltreligionen den gegenseitigen Respekt für die anderen Religionen zum Ausdruck bringen. Sie greifen den Appell des UN-Generalsekretärs vom April 2019 auf und wollen gemeinsam nach Wegen suchen, wie man heilige Stätten in Konflikten aber auch in Kriegsgebieten schützen kann und dem Terrorismus in diesem Bereich entgegentritt. Sie wissen, was allein in diesem Jahr passiert ist: Christchurch, Colombo, Sri Lanka, Oslo, Pittsburgh - das muss aufhören.
DOMRADIO.DE: Was können Ihre Appelle ausrichten oder erreichen?
Schürer: Wir werden es ist nicht bei Appellen belassen. Lindau ist kein Gipfel politischer Institutionen. Lindau endet nicht mit Deklarationen, sondern endet mit Aktionsprogrammen, die verabschiedet und in den kommenden drei Jahren umgesetzt werden. Bei der nächsten Weltversammlung werden diese Programme evaluiert.
Wir wollen hier so konkrete Arbeit leisten, dass danach die Dinge etwas verbessert und weniger konfliktorientiert sind. In diesem Sinne erinnere ich mich bei der Vorbereitung dieser Tagung immer an ein Zitat von Mahatma Gandhi: "God has no religion." Wenn wir es ernst meinen, dann müssen wir zeigen, dass alle in ihrer Religion einen konkreten Beitrag leisten und es nicht bei Deklarationen belassen.
DOMRADIO.DE: Was wünschen Sie sich für die kommenden Tage bis Freitag?
Schürer: Ich wünsche mir, dass wir uns ein Beispiel an Persönlichkeiten wie José Ramos-Horta - Friedensnobelpreisträger 1996 - nehmen, der sein Land Timor-Leste in die Unabhängigkeit geführt hat. Wir haben hier Dutzende solcher Persönlichkeiten, Frauen und Männer, die durch ihr Wirken vorleben, was konkrete Friedensarbeit ist. Je mehr wir an und durch diese Tagung inspirieren und anstecken, umso größer ist die Chance, dass es gelingt.
Wir haben schließlich einen Programmteil für die Bevölkerung in Lindau und am Bodensee mit Tafeln zwischen den Kirchen und Ausstellungen. Jeder soll inspiriert werden von Lindau, Ideen mitzunehmen, die dann in konkrete Projekte umgesetzt werden. Dann hat diese Tagung ihr Ziel erfüllt.
Das Interview führte Andreas Lange.