DOMRADIO.DE: Sie waren daran beteiligt, dass das Treffen erstmals nach Deutschland kommt. Warum war Ihnen das so wichtig?
Annette Schavan (Ehemalige Vatikanbotschafterin): Das war mir wichtig, weil ich davon überzeugt bin, dass die Rolle von Religionen und ihrer Bedeutung zunimmt, und zwar gerade im Blick auf die Konfliktherde, im Blick auf viele Fragen, die mit unserer Zivilisation zu tun haben. Und wenn Religionen mehr Gemeinsamkeiten entdecken, ist damit die Chance zu mehr Frieden und zu neuen Wegen verbunden, was die Zivilisation in unserer globalen Welt betrifft.
DOMRADIO.DE: Das Programm ist ambitioniert. Sie wollen sich für den weltweiten Schutz religiöser Stätten einsetzen. Es geht um Frauen in Afrika, die man vor sexueller Gewalt schützen will. Es geht um Konflikte zwischen Schiiten und Sunniten und noch vieles mehr. Haben Sie sich da nicht ein bisschen viel vorgenommen?
Schavan: Das sind ja vor allem diese beiden Initiativen: Schutz religiöser Stätten und der Schutz vor sexueller Gewalt. Natürlich geht das nicht schon durch einen Beschluss in Lindau – das ist jedem klar. Aber wenn in diesen beiden Fragen Religionen gemeinsam einen Weg suchen, dann ist das ein großer Schritt. Natürlich wird das dauern. Aber es trägt dazu bei, dass sich niemand auf eine Religion beziehen kann, wenn er sexuelle Gewalt verübt oder eine religiöse Stätte in Brand setzt. Der Schlüssel ist, dass Religion sich auch selbst davor schützen muss, für Gewalt, für Terror und für den Missbrauch von Menschen in Anspruch genommen zu werden.
DOMRADIO.DE: Gibt es ein Thema, das Ihnen besonders am Herzen liegt?
Schavan: Ich finde die beiden konkreten Initiativen hoch bedeutsam, denn wir wissen, dass die Gewalt gegenüber Frauen ja nicht abnimmt, sondern, denken Sie nur an das Thema Genitalverstümmelung, nach wie vor total präsent ist. Und wenn es gelingt, dass Religionen die Stätten anderer Religionen mit schützen, dann ist auch das eine enorme friedensstiftende Kraft.
Im Übrigen bin ich der Meinung, dass – auch deshalb war mir das in Deutschland wichtig – generell die Religionskompetenz in der Politik und in der Diplomatie zunehmen muss. Auch diesbezüglich kann von dieser Weltversammlung für Deutschland und für Europa viel ausgehen, denn viele in Europa glauben ja immer noch, Religion werde an Bedeutung verlieren, sei Privatsache. In den anderen Regionen der Welt, das wird ganz deutlich, wird das anders gesehen. Und davon können wir lernen.
DOMRADIO.DE: "Religions for Peace" will, so kann man nachlesen, die Friedensverantwortung der Religionen deutlich machen und neue Wege des Dialogs und der Verständigung suchen. Das erste Treffen ist schon eine Weile her, 1961 war das. Welche konkreten Ergebnisse könnte man denn benennen, die die Organisation hervorgebracht hat?
Schavan: Die Organisation hat in diesen 50 Jahren eine Menge konkreter Aktivitäten gestartet. Da ist viel geschehen vor Ort. Aber natürlich muss man sagen, dass wir gerade wieder erleben, wie sich ein respektvoller Umgang von Gesellschaften mit Religion und ein respektvoller Umgang der Religionen untereinander verdüstert. Schwarz-weiß-Denken und unter sich bleiben spielt wieder eine Rolle.
Deshalb ist das jetzt ein wichtiges Signal: Lasst uns nicht die Wege, die wir schon an Verständigung erreicht hatten, verlassen und lasst uns ernsthafter damit umgehen, dass es in dieser Welt keinen Frieden geben wird ohne den Frieden der Religionen. Das ist der Schlüssel.
DOMRADIO.DE: Wäre die Welt ohne Religionen möglicherweise friedlicher?
Schavan: Sie wäre nicht friedlicher, weil das ja bedeuten würde, dass Menschen, die glauben und die es auch öffentlich tun, unterdrückt würden. Aber klar ist: Es wird Religion heute wieder, stärker als es einmal war, als Quelle von Gewalt wahrgenommen.
Gerade deshalb ist es so wichtig, dass diejenigen, die Verantwortung in den Religionen tragen, die Eliten der Religionsgemeinschaften, sich weltweit verständigen. Wenn das sozusagen der Mainstream ist, wenn das die Erfahrung von Menschen mit Religion ist, dann werden sich immer mehr Menschen von der Religion abwenden.
DOMRADIO.DE: Wie kann man dahin kommen, dass Religionen nicht mehr für Konflikte und Gewalt benutzt werden – oder zumindest weniger. Gibt es da bei der Konferenz konkrete Vorschläge?
Schavan: Es werden konkrete Vorschläge diskutiert, etwa diese beiden: Schutz aller religiösen Stätten, das wäre ein großer Schritt. Und Schutz für Frauen vor sexueller Gewalt. Damit steht man in einer Tradition, die auch Papst Johannes Paul II. 1986 mit dem Friedensgebet von Assisi versucht hat. Man kann sagen: Das Glas ist halb voll oder halb leer. Ich glaube, dass in der jetzigen Situation öffentliche Zeichen der Religionen, die sagen, man wolle sich nicht für Gewalt in Anspruch nehmen lassen, auch eine vertrauensbildende Maßnahme sein können.
Das Interview führte Dagmar Peters.