Sie stehen etwa in Frankfurt vor Beratungsstellen von Pro Familia, beten mit Rosenkränzen in der Hand und zeigen Ultraschallbilder eines Embryos. Mit solchen "Mahnwachen" demonstrieren Abtreibungsgegner oft tagelang vor Schwangerschaftskonflikt-Beratungsstellen oder auch vor Arztpraxen, in denen Abtreibungen vorgenommen werden.
Das Land Hessen hat jetzt per Erlass des Innenministeriums solche Demonstrationen von Abtreibungsgegnern stark eingeschränkt. Sicherzustellen sei, dass Schwangere - zumindest zu den Öffnungszeiten der jeweiligen Einrichtungen - nicht mehr durch Demonstranten behelligt werden, hieß es. Ratsuchende Frauen dürfen demnach nicht angesprochen, bedrängt oder belästigt werden.
Demonstrationen oder Mahnwachen
Die Regelung gelte ab sofort, sagte Ministeriumssprecher Marcus Gerngroß am Donnerstag in Wiesbaden auf Anfrage der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Hessen sei seines Wissens das erste Bundesland, das eine solche Regelung getroffen habe. Zuvor hatte die "Frankfurter Rundschau" (Donnerstag) darüber berichtet. Der Ministeriums-Erlass, der der KNA vorliegt, wurde bereits am 20. August an die Regierungspräsidien verschickt.
Demonstrationen oder Mahnwachen seien nur dort zu genehmigen, wo "kein Sicht- oder Rufkontakt mit der Beratungsstelle besteht", heißt es in dem Papier. Ein solcher Eingriff in das Versammlungsrecht sei "in der Regel zulässig, wenn nicht sogar geboten", um das Persönlichkeitsrecht der schwangeren Frauen zu schützen. Weiter wird das Recht der Frauen herausgehoben, "vertraulich und auf Wunsch auch anonym" beraten zu werden.
Erzeugung von Schuldgefühlen?
Das Innenministerium handelt als oberste Versammlungsbehörde des Landes. Die "Handreichung zur Lösung von Konfliktfällen vor Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen, Arztpraxen und Kliniken" ging an die Städte und Gemeinden im Land. Diese sollen damit Rechtssicherheit bekommen. Rechtlich beinhalte das Papier, "dass das Persönlichkeits- und Selbstbestimmungsrecht der schwangeren Frauen während der Öffnungszeiten der jeweiligen Beratungsstelle überwiegt", so der Ministeriumssprecher. Dies ergebe die Abwägung mit der Meinungs-, Versammlungs- und Religionsfreiheit der Abtreibungsgegner. Nur außerhalb der Geschäftszeiten werde in der Regel die Versammlungsfreiheit Vorrang haben.
In dem Erlass heißt es, eine "auf Erzeugung von Schuldgefühlen abzielende", belehrende Einflussnahme diene weder dem Lebensrecht des ungeborenen Kindes noch dem Selbstbestimmungsrecht der Frau. Schwangere Frauen dürften nicht "im Zustand hoher Verletzlichkeit einer Anprangerung und Stigmatisierung ausgesetzt" werden.
"Spießrutenlauf für ratsuchende Frauen"
Die Grünen im Landtag zeigten sich erfreut über die Erlass-Lösung, die sie mit dem Koalitionspartner CDU verabredet haben. "Der Weg zu einem Beratungsgespräch darf nicht zu einem Spießrutenlauf für ratsuchende Frauen werden", sagte Silvia Brünnel, frauenpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion. Grünen-Innenpolitikerin Eva Goldbach betonte, im Unterschied zu einem Gesetz, das erst beraten und verabschiedet werden müsste, entfalte die Handreichung "unmittelbare Wirkung". Der Erlass könne von den Kommunen für bereits angekündigte "Mahnwachen" im September angewandt werden.
Die FDP sprach hingegen von einem "Schnellschuss der Landesregierung". Es bleibe "leider weiterhin so, dass die Frauen auf dem Weg zu den Beratungsstellen in unerträglicher Weise religiösen Fanatikern ausgeliefert sind", erklärte die rechtspolitische Sprecherin der FDP im hessischen Landtag, Marion Schardt-Sauer. Die Demo-Entscheidungen würden "weiterhin vor Ort getroffen".
Am Donnerstag gab es im hessischen Landtag eine Anhörung zu einem Gesetzentwurf der Linken-Fraktion, der die Einrichtung von "Schutzzonen" um Beratungsstellen und Praxen vorschlägt. Aus Sicht der CDU wäre die gesetzliche Einführung solcher "Bannkreise" verfassungswidrig. Auch aus Sicht des Innenministeriums sind regelrechte "Schutzzonen" mit einer generellen Einschränkung der Versammlungsfreiheit in den vorliegenden Fällen nicht per Gesetz regelbar - anders als bei Bannmeilen vor dem Bundestag oder vor Landtagen. Deshalb griff man nun zum Instrument des Erlasses.