DOMRADIO.DE: Was haben wir zu tun mit den aktuellen Bränden im Amazonasgebiet?
Dieter Richarz (Leiter der Lateinamerika-Abteilung des katholischen Entwicklungswerkes Misereor): Ich glaube, wir haben sehr viel damit zu tun, obwohl uns das vielleicht im ersten Moment nicht so klar ist. Der Amazonas ist die Lunge unserer Welt, aber nicht nur die Lunge, sondern auch die Wasserquelle. Jedes fünfte Glas Wasser, das wir trinken, kommt aus diesem komplexen Gebiet des Amazonasgebietes.
Man muss sich natürlich fragen: Warum gibt es diese Brände? Warum hat der brasilianische Präsident auch eine Mitschuld daran, dass es über 70.000 Brände allein in Brasilien gibt? Das hat ja damit etwas zu tun, dass sich viele Bauern in den Regionen aufgerufen fühlen, ihre Weideflächen zu vergrößern, damit sie Soja anbauen können.
Das ist genau der Punkt. Da müssen wir uns fragen: Warum wollen sie das? Sie brauchen es für den Export – und zwar für die Tierhaltung oder Tierfütterung. Und dann sind wir direkt im Spiel. All diese Brände haben auch etwas mit unserem Konsum zu tun. Wir konsumieren sehr viel Fleisch. Die deutsche Gesellschaft für Ernährung sagt, das ist doppelt so viel, wie uns guttäte. Und dieses Fleisch muss produziert werden. Die Tiere brauchen Kraftfutter und das beziehen sie aus Soja – und das importieren wir.
DOMRADIO.DE: Soja, Fleisch haben Sie jetzt schon benannt. Es gibt noch mehr alltägliche Produkte, die wir jeden Tag konsumieren, die aus dem Regenwald kommen. Was noch?
Richarz: Neben dem Fleisch sind das natürlich noch die Eier, was die Nahrungsmittel betrifft. Es gibt auch andere Produkte, die wir aus dem Regenwald nehmen. Das geht bis hin zu Naturhölzern, die nach der Abholzung im Regenwald auch bei uns verkauft werden. Da müssen wir auch drauf achten: Wo kommt Holz her? Wie ist es zertifiziert? Und auch Soja wird nicht nur in der Tierfutter-Industrie gebraucht, sondern auch in Beimischungen für Sprit und Benzin. Da sind wir wieder bei dem Thema unserer Mobilität.
DOMRADIO.DE: Was wäre Ihr Vorschlag: Auf all das zu verzichten klingt nicht sehr realistisch, oder?
Richarz: Es geht gar nicht um einen vollständigen Verzicht. Was wir aber überlegen müssen, ist, wie wir weniger konsumieren. Es geht dabei nicht um alles oder nichts, sondern um weniger Konsum. Auch müssen wir schauen: Wo kaufen wir ein? Kaufen wir mehr regional ein? Kaufen wir mehr Bio ein, wo wir sicher sein können, dass wir den Kreislauf ein bisschen durchbrechen in unserem Alltagsleben? Es geht nicht um einen Totalverzicht, aber es geht schon auch um eine Umkehr. Das muss man ehrlicherweise sagen.
DOMRADIO.DE: Gerade erst im Juni hat die Europäische Union nach jahrzehntelangen Verhandlungen ein Freihandelsabkommen mit vier südamerikanischen Staaten abgeschlossen, darunter auch Brasilien. Das regelt unter anderem zollfreie Importe für viele Agrarprodukte. Haben wir Europäer damit die Ausweitung der Agrarflächen nicht geradezu befeuert – im wahrsten Sinne des Wortes?
Richarz: Das könnte man im ersten Moment so sehen, aber ich glaube das Politische, was hinter diesen Freihandelsabkommen steckt, ist etwas komplizierter. Im Grunde ist es wichtig, gerade auch für die Bauern und Bäuerinnen in Lateinamerika, dass sie Zugänge zu Märkten haben.
Man muss natürlich darauf achten – und das ist ja auch die Intention des französischen Präsidenten Macron gewesen – welche Standards es bei diesen Handelsabkommen gibt. Führt man da sehr bewusst auch Umweltstandards ein und versucht also auch, Einfluss zu nehmen, ob Regenwälder abgeholzt werden? Und nicht nur Umweltstandards sind wichtig, denn hinter diesen katastrophalen Waldbränden verbirgt sich ja nicht nur eine ökologische Katastrophe, sondern auch eine Menschenrechtskatastrophe.
Dort leben ja Menschen, indigene Ureinwohner oder Siedler, die massiv in ihrer Existenzgrundlage gefährdet sind. Das könnte ein Handelsabkommen auch regeln, wenn es wollte. Wenn es aber ausschließlich darum geht, unseren Konsum zu steigern, würden wir das in der Tat befeuern – im wahrsten Sinne des Wortes.
DOMRADIO.DE: Können denn die europäischen Staaten dieses Handelsabkommen jetzt nicht nutzen, um den brasilianischen Präsidenten Bolsonaro unter Druck zu setzen und damit zu drohen, dieses Abkommen auf Eis zu legen?
Richarz: Ich glaube, dass das diplomatisch sehr wichtig sein wird, noch einmal deutlich zu machen, dass ein solches Abkommen auch an Bedingungen geknüpft ist. International muss man immer sehr vorsichtig sein, wie man mit Drohungen umgeht, weil natürlich auch die Gegenseite dann oft mit Gegendruck reagiert. Aber es wird wirklich wichtig sein, deutlich zu sagen: An solche Abkommen sind auch Bedingungen geknüpft – und die haben sehr viel mit Umweltschutz und mit Menschenrechten zu tun.
DOMRADIO.DE: Speziell mit Blick auf die brennenden Amazonaswälder: Was ist da ihre Forderung als katholisches Entwicklungswerk?
Richarz: Wir sind natürlich im direkten Kontakt mit unseren Partnerinnen und Partnern vor Ort und es geht jetzt erst einmal aktuell darum, Schutzräume zu errichten. Da sind die Nationalstaaten im Amazonasraum gefordert. Schutzräume sollen sicherstellen, dass da keine Brandrodungen stattfinden, dass dieses Gebiet auch auf Jahre hin geschützt ist. Das ist sehr wichtig.
Aber als Entwicklungshilfswerk ist es uns auch wichtig darauf hinzuweisen, dass es internationale Beziehungen und Verflechtungen gibt, dass unser Anteil an den Bränden sehr hoch ist. Wie sie wissen, bereitet sich die katholische Kirche gerade darauf vor, dass im Oktober eine Amazonien-Synode stattfindet, die ja zum Mittelpunkt hat wie wir das Ökosystem, in theologischer Sprache "Schöpfung", wirklich schützen können, und zwar so, dass es auch den Menschen, die dort leben, und den Menschen weltweit eine Lebensgrundlage bildet.
Das Interview führte Hilde Regeniter.