Sind die neuen Kardinalsernennungen "typisch Franziskus"?

Aus dem Hut gezaubert...

Da staunte die katholische Kirchenwelt nicht schlecht, als Papst Franziskus am Sonntag unvermittelt 13 neue Kardinalsernennungen bekanntgab. Und auch die Geistlichen selbst wussten davon nichts. Mal wieder "typisch Franziskus"?

Ein Kardinal mit seinem Kardinalshut / © Alessandra Tarantino (dpa)
Ein Kardinal mit seinem Kardinalshut / © Alessandra Tarantino ( dpa )

DOMRADIO.DE: Was zeichnet denn einen Kardinal aus?

Stefan Kempis (Leiter der deutschsprachigen Abteilung bei Vatican News und Radio Vatikan): Ein Kardinal ist eigentlich ein Senator. Man spricht vom Senat des Papstes, seinem wichtigsten Beratungsgremium. Das Wort kommt vom lateinischen "cardo", was Türangel heißt. Wie man von da auf die Kardinäle gekommen ist, weiß man nicht so genau. Aber das Wort passt symbolisch, denn die Kirche dreht sich um die Kardinäle - sie sind der Angel und Hebelpunkt.

Die ersten Kardinäle waren auch die Pfarrer der Kirchen in Rom, die schon damals meist per Akklamation den neuen Papst wählten. Mittlerweile hat sich das Gott sei Dank internationalisiert und es sind nicht nur Römer, die im Kardinalskollegium sitzen.

DOMRADIO.DE: 13 neue Kardinäle wurden benannt. Wie überrascht waren Sie?

Kempis: Ich war total überrascht, das waren wir alle. Es war ohnehin schon ein Angelus mit Hindernissen, denn der Papst ist auf dem Weg zum Angelusgebet in seinem Apostolischen Palast am Petersplatz im Aufzug stecken geblieben. Unsere Moderatorin der Live-Übertragung hat drei Minuten vorher denselben Aufzug genommen und kam Gott sei Dank noch durch. Sie musste aber zehn Minuten lang irgendetwas erzählen, bis der Papst am Fenster auftauchte. Das war die Überraschung Nummer eins.

Überraschung Nummer zwei war, dass der Papst dann auf einmal eine Liste hervorzog und neue Kardinäle angekündigt hat. Das ist sein souveränes Recht, aber dieser Papst macht wirklich den ganz Geheimnisvollen - ohne dass irgendjemand einen blassen Schimmer gehabt hätte. Selbst die Neuernannten hatten keine Ahnung und erfahren es eher zufällig, weil jemand anruft und gratuliert. Die hängen natürlich nicht alle am Radio und hören sich jeden Angelus des Papstes an. Es war vollkommen überraschend!

DOMRADIO.DE: Der Papst wird doch aber vorher mit den Betroffenen gesprochen haben oder nicht?

Kempis: Nein, das macht er nicht. Benedikt XVI. schon, aber Franziskus macht es nicht. Die Kardinäle haben keine Ahnung. Ich weiß von einem Nuntius, der mir gesagt hat: "Wir sind völlig raus aus der Kandidatensuche. Wir werden nicht vom Papst oder seinen Mitarbeitern diskret gefragt, ob jemand ein Kandidat für den roten Hut wäre". Das ist wirklich Franziskus' Ding. Das macht er ganz alleine.

DOMRADIO.DE: Die neuen Kardinäle kommen von überall her. Geht damit der Trend weg von den Europäern im Kardinalskollegium?

Kempis: Ja, dieser Trend weg von den Europäern ist ganz stark und ganz klar. Diesmal sind nur zwei Europäer berücksichtigt - mit Ausnahme der Leute, die an der römischen Kurie, also in der engsten Umgebung des Papstes arbeiten - nämlich ein Bischof aus Bologna und der Luxemburger Erzbischof Jean-Claude Hollerich, der den europäischen Bischofsrat leitet und damit Nachfolger von Kardinal Marx ist.

Ansonsten kommen die Kardinäle tatsächlich von Havana bis Kinshasa aus der großen weiten Weltkirche. Und acht der Neuernannten gehören auch zum Missionsorden oder zu Kongregationen. Daran sieht man auch diesen Drang nach draußen, ins Internationale rein.

DOMRADIO.DE: Die Neuernannten engagieren sich für Menschenrechte, sind in der Flüchtlingsarbeit aktiv oder stehen für interreligiösen Dialog. Was sagt das über das Pontifikat und die kirchliche Linie von Franziskus?

Kempis: Es ist schon interessant, dass der Akzent "Dialog mit dem Islam" so stark ist, dass sich dieser auch im neuen Kardinalskollegium widerspiegelt. Ich sehe sogar drei Ernennungen: Erstens den Präsidenten des Rates im Vatikan. Zweitens den Erzbischof von Rabat in Marokko, den der Papst im Frühjahr besucht hatte. Und drittens den früheren Präsidenten des Dialograts, Erzbischof Fitzgerald, der auch lange Nuntius war und den man im Vatikan eine Weile an den Rand gedrängt hatte, weil er als zu offen gegenüber dem Islam galt. Das sind drei der 13 Ernennungen. Das ist schon ein sehr starker Akzent.

Auch das Thema Migranten sehe ich sehr stark herausgehoben, dadurch dass der Jesuit Michael Czerny - ein Kanadier, der gut Deutsch kann - den roten Hut erhält. Er kümmert sich im Vatikan um das Thema Migranten und ist direkt dem Papst unterstellt.

Das sind für mich die wesentlichen Akzente: Rein ins Internationale, das Gespräch mit dem Islam und das Thema Migranten.

DOMRADIO.DE: Unter diesen neuen Kardinälen sind insgesamt drei Jesuiten. Der Papst selbst ist Jesuit. Ist das Zufall oder Absicht?

Kempis: Ich glaube nicht, dass es daran liegt, dass der Papst "seinen Orden" speziell fördern will, aber da kennt er sich am besten aus. Das ist auch der Grund, warum Johannes Paul II. viele Polen an die römische Kurie holte oder zu Kardinälen machte. Oder dass ein Benedikt - so sehr er sich um Ausgewogenheit bemühte - auch seine Spezis mit dem roten Hut versah. Das passiert ganz automatisch, erst recht bei einem so geheimnistuerischen Papst wie Franziskus, der dies wirklich ganz allein durchzieht. Der kennt nicht alle, aber die Jesuiten kennt er. Es ist also kein Zufall, dass diese dann auch im Kardinalskollegium ein bisschen überrepräsentiert sind.

Das Interview führte Uta Vorbrodt.

 

Quelle:
DR
Mehr zum Thema