Bischöfe: Organspende muss freiwillig bleiben

"Nur bei informierter und ausdrücklicher Zustimmung"

Für die katholischen Bischöfe steht bei der Neuregelung der Organspende die Selbstbestimmung auf dem Spiel. Sie befürchten einen Vertrauensverlust bei einem "quasi automatischen Zugriff des Staates" auf den Körper.

Autor/in:
Christoph Scholz
Bischof Gebhard Fürst während einer Rede / © Harald Oppitz (KNA)
Bischof Gebhard Fürst während einer Rede / © Harald Oppitz ( KNA )

KNA: Herr Bischof, wie bewertet die Kirche die Organspende?

Gebhard Fürst (Bischof der Diözese Rottenburg-Stuttgart): Sie ist für viele Menschen die einzige Chance auf Lebensrettung oder Linderung einer ernsthaften Krankheit. Daher verdient sie aus christlicher Perspektive als Akt der Nächstenliebe und Solidarität über den Tod hinaus höchste Anerkennung.

KNA: Es gab immer wieder Diskussionen um den Todeszeitpunkt. Ab wann können einem Mensch Organe entnommen werden?

Fürst: Als mögliche Spender kommen Verstorbene in Betracht, bei denen der Tod nach dem Hirntodkriterium festgestellt worden ist, das heißt nach dem Ausfall des Großhirns, Kleinhirns und des Hirnstamms. Die Kirche betrachtet das Hirntodkriterium als einziges verantwortbares Kriterium. Es ist nach Stand der Wissenschaft das Beste und Sicherste - sofern es sorgfältig angewendet wird.

KNA: Welchen der diskutierten Gesetzesvorschläge hält die katholische Kirche in Deutschland für den ethisch besten?

Fürst: Sehr eindeutig den Entwurf zur Stärkung der Entscheidungsbereitschaft, den die Abgeordneten Baerbock, Gröhe, Maag und andere eingebracht haben. Er setzt darauf, dass sich die Menschen proaktiv mit der Frage der Organspende befassen und dann eine informierte und selbstbestimmte Entscheidung treffen. Dazu bietet er sehr praktische Lösungen an. Dieser Entwurf wird übrigens von beiden Kirchen favorisiert.

KNA: Und wie beurteilen Sie die Widerspruchslösung, wonach jeder potenziell Organspender ist, sofern er dem nicht zu Lebzeiten widersprochen hat?

Fürst: Der Entwurf zur Einführung einer Widerspruchslösung, der von den Abgeordneten Spahn, Lauterbach und anderen vorgelegt wurde, stößt aus Sicht der beiden Kirchen auf erhebliche Bedenken, weil er sich vom Charakter einer freiwilligen Spende verabschiedet und den Zugriff auf den menschlichen Körper auch ohne Zustimmung erlaubt.

Unabdingbare ethische Voraussetzung für die Organspende ist nach unserer Vorstellung, dass der Spender beziehungsweise seine Angehörigen der postmortalen Organentnahme informiert, freiwillig und ausdrücklich zugestimmt haben. Das gebieten die Selbstbestimmung, das Konzept der Patientenautonomie und die Würde des Menschen, die auch über den Tod hinaus von Bedeutung sind.

KNA: Minister Spahn begründet seinen Vorstoß mit der fehlenden Zahl an Spenden bei der derzeit gültigen Regelung. Rund 10.000 Menschen warteten auf Spenderorgane. Geht es hier nicht um ein hohes Gut: das Leben?

Fürst: In der Tat. Das Bemühen des Gesetzgebers, die Organspendebereitschaft weiter zu verbessern und die Organspendezahlen zu erhöhen, unterstützt die katholische Kirche deshalb auch ausdrücklich. Nur heiligt der Zweck eben nicht alle Mittel. Und erst recht nicht, wenn die angebotene Regelung das Problem gar nicht löst.

Es gibt, auch mit Blick auf andere Länder, keinen Beleg dafür, dass die Widerspruchslösung per se zu gesteigerten Organspendezahlen führt. Maßgeblich sind strukturelle und organisatorische Maßnahmen rund um den Ablauf der Organspende, die der Deutsche Bundestag ja erst vor kurzem mit dem Zweiten Gesetz zur Änderung des Transplantationsgesetzes - Verbesserung der Zusammenarbeit und der Strukturen bei der Organspende - eingeleitet hat.

Die Vertreter der Widerspruchslösung erwecken gerne den Eindruck, als hätten wir mit ihrer Regelung demnächst fast 80 Millionen Organspender in Deutschland. Dem ist mitnichten so, da die Anzahl der überhaupt für eine Organspende in Betracht kommenden Menschen aus medizinischen Gründen sehr beschränkt ist. Und von diesen potenziellen Organspendern werden heute bereits rund 70 Prozent tatsächlich zu Organspendern.

KNA: Als weiterer Grund für niedrige Organspenderzahlen gilt auch der Vertrauensverlust in das medizinische System. Wie kann es zurückgewonnen werden?

Fürst: Das System der Organspende und der Verteilung der Organe muss möglichst transparent sein. Neben dieser Transparenz braucht es eine umfassende Aufklärung der Öffentlichkeit und eine entsprechende Aus- und Fortbildung des medizinischen Personals. Ein in diesem Zusammenhang wichtiges Maßnahmenpaket wurde wie gesagt bereits mit dem in April 2019 beschlossenen Gesetz zur Verbesserung der Strukturen und der Zusammenarbeit bei der Organspende verabschiedet.

Ganz wichtig ist eine gute Begleitung der Angehörigen in dieser existenziellen und schwierigen Lebenssituation. Da sind auch wir Kirchen gefordert. Menschen, die in so einer Situation die Erfahrung kompetenter und empathischer Begleitung gemacht haben, sind die besten Zeugen für ein berechtigtes Vertrauen in unser System. Mit der Einführung einer Widerspruchslösung wäre hingegen ein weiterer Vertrauensverlust der Menschen zu befürchten.

Denn diejenigen, die jetzt schon wenig Vertrauen in das System haben, dürften durch den quasi automatischen Zugriff des Staates auf ihren Körper weiter verunsichert werden und diesem widersprechen. Zu befürchten sind dann Abwehrreaktionen und Verweigerungshaltungen. Gerade in Deutschland sind die Menschen nach meiner Beobachtung besonders sensibel wenn es um die fremdbestimmte Verfügung über ihren Körper geht.

KNA: Die jetzt vorliegenden Gesetzentwürfe lassen die Gerechtigkeitsfrage bei der Verteilung außer Acht. Sollte sie neu geregelt werden?

Fürst: Die Entscheidung darüber, wer eine Organspende erhalten soll, wird aufgrund der Dringlichkeit, der Erfolgsaussicht und der jeweiligen Wartezeit getroffen. In Deutschland werden die Organe vor allem über die Zentrale der Eurotransplant Foundation verteilt. Die katholische Kirche betrachtet die angewendeten Kriterien als gerecht.

Das System ist aber leider oft nicht ausreichend transparent. Da sollte es Verbesserungen geben, denn das Vertrauen der Öffentlichkeit und der Betroffenen hängen davon ab, dass die Grundsätze der Organverteilung transparent und nachvollziehbar sind und kein missbräuchlicher oder korrupter Umgang mit den Organen zu befürchten ist.

KNA: Eine Organspende kann in Widerspruch zur Patientenverfügung geraten. Lässt sich der Widerspruch auflösen?

Fürst: Tatsächlich können eine Erklärung zur Organspende und eine Patientenverfügung widersprüchlich sein. Ursächlich ist meistens, dass es nicht allen Menschen bewusst ist, dass eine Organspende nur dann erfolgen kann, wenn organprotektive beziehungsweise lebenserhaltende Maßnahmen wie zum Beispiel die künstliche Beatmung ergriffen werden.

Der mögliche Widerspruch lässt sich auflösen, indem die Menschen zu Lebzeiten eben umfassend über die Modalitäten und Voraussetzungen einer Organspende informiert werden. Auch das ist die Voraussetzung für eine selbstbestimmte und bewusste Entscheidung.


Quelle:
KNA