Fragen und Antworten zur Reformdebatte über Organspende

Was darf der Staat verlangen?

Vermutlich noch in diesem Jahr wird der Bundestag über einen Systemwechsel bei der Organspende entscheiden. An diesem Mittwoch findet dazu eine Anhörung im Parlament statt. Einige zentrale Punkte der Debatte.

Autor/in:
Christoph Arens
Die Rückseite eines ausgefüllten Organspendeausweises / © Marie Reichenbach (dpa)
Die Rückseite eines ausgefüllten Organspendeausweises / © Marie Reichenbach ( dpa )

Warum kommt es zu dieser Debatte?

Seit Jahren liegt Deutschland europaweit bei den Organspenden am Tabellenende; die jährlichen Spenderzahlen sind im Keller. Um den Trend umzukehren, hat der Bundestag im April ein Gesetz zur Verbesserung der Strukturen in der Transplantationsmedizin beschlossen. Doch manchen Politikern und Gesundheitsexperten reicht das nicht. Sie wollen die Bürger stärker verpflichten, sich mit der Organspende auseinanderzusetzen und ihre Position dazu zu dokumentieren.

Wie viele Organspenden gab es 2018?

Erstmals seit 2010 ist die Zahl der Organspenden in Deutschland 2018 wieder angestiegen. 955 Menschen spendeten nach ihrem Tod ihre Organe, 20 Prozent mehr als ein Jahr zuvor. 3.113 Organe konnten somit durch die internationale Vermittlungsstelle Eurotransplant an Patienten der acht dem Verbund angehörenden europäischen Staaten vermittelt werden. Das sind 519 Organe mehr als 2017.

Wie ist die Organspende geregelt?

In Deutschland regelt das 1997 verabschiedete Transplantationsgesetz diesen Bereich. Um Missbrauch oder Organhandel zu verhindern, sieht das Gesetz eine strikte organisatorische und personelle Trennung der Bereiche Organspende, Vermittlung und Transplantation vor. Für die Koordination der Spende ist die Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO) zuständig.

Wo werden die Organe entnommen?

Derzeit gibt es in Deutschland rund 1.350 Krankenhäuser mit Intensivstation, die Organe entnehmen dürfen. Sie sind seit 2012 verpflichtet, Transplantationsbeauftragte zu bestellen, die potenzielle Organspender identifizieren, melden und die Angehörigen begleiten sollen. Die Übertragung der Organe erfolgt in den bundesweit etwa 50 Transplantationszentren.

Was besagt die geltende Zustimmungslösung?

Seit 1997 gilt in Deutschland eine erweiterte Zustimmungslösung: Nur wenn der Verstorbene zu Lebzeiten ausdrücklich einer Organentnahme zugestimmt hat, dürfen die Organe auch entnommen werden. Erweitert wird die Regelung dadurch, dass auch die Angehörigen oder vom Verstorbenen dazu bestimmte Personen berechtigt sind, über eine Entnahme zu entscheiden. 2012 hat der Bundestag eine weitere Ergänzung beschlossen. Die sogenannte Informationslösung sieht vor, jeden Bürger mindestens einmal im Leben zur Bereitschaft für oder gegen eine Organspende zu befragen. Die Krankenkassen wurden verpflichtet, alle Bürger in regelmäßigen Abständen über die Organspende zu informieren. Die Entscheidung soll dokumentiert werden.

Prominente Politiker fordern jetzt einen Systemwechsel zu einer Widerspruchslösung. Warum?

Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach und die Bundesärztekammer fordern angesichts der geringen Zahlen an Organspenden die Einführung einer Widerspruchslösung. Hat der Verstorbene einer Organentnahme zu Lebzeiten nicht ausdrücklich widersprochen, können die Organe zur Transplantation entnommen werden. Nach dem Gesetzentwurf können in dem Fall, in dem keine Willensbekundung des potenziellen Spenders vorliegt, auch die Angehörigen Widerspruch einlegen. Sie dürfen dabei aber nicht ihre eigene Meinung geltend machen, sondern müssen nachweisen, dass der potenzielle Spender dies abgelehnt hätte.

Was spricht für eine Widerspruchslösung?

Durch sie wird der Kreis potenzieller Spender erweitert. Der Staat geht von einer grundsätzlichen Bereitschaft zur Organspende aus. Befürworter verweisen darauf, dass Länder mit Widerspruchslösung höhere Transplantationszahlen hätten. Kritiker bezweifeln diesen Zusammenhang: Spanien etwa, das die weltweit höchsten Spenderraten vorweisen kann, habe bereits 1979 die Widerspruchslösung eingeführt - ohne Ergebnis. Erst Maßnahmen der Vertrauensbildung und der Einbeziehung der Angehörigen hätten dann für die hohen Spenderzahlen gesorgt. Das gelte auch für Schweden.

Welche Argumente gibt es gegen die Widerspruchslösung?

Eine Widerspruchslösung wird auch in Deutschland schon seit Jahrzehnten diskutiert - und immer wieder verworfen. Kritiker halten sie für verfassungswidrig und kontraproduktiv, weil sie das Misstrauen in die Transplantationsmedizin noch erhöhen könnte. Sie verweisen darauf, dass in Deutschland auch kleinste medizinische Eingriffe der Zustimmung des Patienten bedürfen. Auch für die katholische Kirche in Deutschland ist die Widerspruchslösung nicht akzeptabel: Nach ihrer Ansicht muss die Organspende eine bewusste und freiwillige Entscheidung bleiben.

Zur Debatte steht auch die Entscheidungslösung. Was bedeutet das?

Eine Gruppe von Abgeordneten um die Parteivorsitzende der Grünen, Annalena Baerbock, Katja Kipping (Linke) sowie der CDU-Gesundheitsexpertin Karin Maag, Stephan Pilsinger (CSU), Hilde Mattheis (SPD) sowie Christine Aschenberg-Dugnus (FDP) wollen, dass die Organspende weiter eine freiwillige und bewusste Entscheidung bleibt. Laut ihrem Gesetzentwurf sollen die Bürger regelmäßig etwa bei der Verlängerung ihrer Ausweise nach ihrer Bereitschaft zur Organspende befragt werden. Hausärzte sollen ihre Patienten mindestens alle zwei Jahre über eine mögliche Spende beraten. Die Antworten sollen dann in einer zentralen Datenbank registriert werden.

Gibt es noch weitere Modelle?

Gesundheitsökonomen und Philosophen haben ein auf Gegenseitigkeit beruhendes Modell, die sogenannte Reziprozitätslösung, vorgeschlagen: Wer sich selber als potenzieller Spender registrieren lässt, erhält im Krankheitsfall selber bevorzugt ein Organ. Diese bereits in Israel geltende Regelung würde für mehr Anreize zur Spende und mehr Gerechtigkeit sorgen, weil Trittbrettfahren verhindert wird.

Wie ist die Organspende in anderen europäischen Ländern geregelt?

Der Blick auf die europäischen Staaten zeigt einen bunten Flickenteppich. Allerdings überwiegt die Widerspruchslösung. Eine erweiterte Zustimmungslösung gibt es in Dänemark, Island, Litauen, Rumänien, der Schweiz sowie in England, Nordirland und Schottland.

Auch in den Niederlanden gilt noch die Zustimmungslösung. Allerdings hat das niederländische Parlament eine Widerspruchslösung beschlossen, die im kommenden Jahr in Kraft treten soll.

Eine Widerspruchslösung gilt etwa in Belgien, Bulgarien, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Irland Italien, Kroatien, Lettland, Liechtenstein, Luxemburg, Malta, Norwegen, Österreich, Polen, Portugal, Schweden, Slowakei, Slowenien, Spanien, Tschechien, der Türkei, Wales und Ungarn. Unterschiedlich ist in diesen Staaten die Einspruchsrechte von Angehörigen geregelt.


Quelle:
KNA