Es ist ein Tag persönlicher Bekenntnisse und Selbsterkenntnisse bei der Buchmesse: Benediktinerpater Anselm Grün (74), der in seinen bisher rund 300 Büchern normalerweise anderen Menschen Tipps für ein gelingendes Leben gibt, gesteht, dass er selbst Glaubenszweifel gut kennt. Und Thomas Middelhoff (66), wegen Untreue verurteilter ehemaliger Topmanager, sagt: "Ich habe alles verloren - und trotzdem empfinde ich keinen Mangel."
Grün und Middelhoff treffen in einem Podiumsgespräch zum Thema "Achten statt Ächten" aufeinander. Früher habe es in seiner Karriere einen "Mangel an bewusstem Leben" und einen "Mangel an Mäßigung" gegeben, so Middelhoff. Er habe versucht, dem Rollenbild des erfolgreichen Topmanagers zu entsprechen. "Aber wenn Sie eine Rolle spielen, sind Sie nicht mehr authentisch", weiß er heute.
Heute ein gläubiger Christ
Er erschrecke manchmal, wenn er Fotos aus seiner früheren Zeit als Manager sehe. "Auf diesem Foto siehst Du echt nicht richtig echt aus", sage er sich dann. Manchmal schäme er sich auch, dass er arrogant gewesen sei. Seine heutige Selbsterkenntnis: "Eigentlich warst Du hohl innendrin."
Middelhoff war von 1998 bis 2002 Vorstandsvorsitzender des Bertelsmann-Konzerns, anschließend Chef von KarstadtQuelle (seit 2007 Arcandor). Vor dem Hintergrund der Insolvenz von Arcandor verurteilte ihn das Landgericht Essen im November 2014 wegen Untreue und Steuerhinterziehung zu drei Jahren Haft, die er in Bielefeld verbüßte. Im November 2017 wurde er entlassen.
Middelhoff bezeichnet sich heute als gläubigen Christen und sagt, dass er das Gefühl habe, "dass ich von Gott eine zweite Chance bekommen habe". Der Titel seines Buches: "Schuldig - Vom Scheitern und Wiederaufstehen." In seinem früheren Leben habe er den Menschen "viel zu wenig zugehört". Als Firmenlenker habe er "kraftvoll kommuniziert," sagt Middelhoff, "und wenn es drauf ankam, wollte ich auch der einzige 'Sender' sein."
Vom Ego und Glaubenszweifeln
Achtsamkeit, Zuhören - das ist das Stichwort für Anselm Grün. In der heutigen Gesellschaft werde zuwenig miteinander und zuviel übereinander geredet - und das oft schlecht. Fehler würden breitgetreten. Nach seiner Beobachtung haben viele Menschen zwar sehr viel zu tun. Diese Geschäftigkeit sei aber oft eine Flucht vor einem fehlenden Sinn im eigenen Leben. Manche übertünchten dies damit, dass sie versuchten, "sich möglichst gut darzustellen".
Auf die Frage, ob er als häufig eingeladener Vortragsredner nicht auch bei sich eine Art Geltungsdrang bemerke, bekennt der Mönch, auch er spüre sein Ego. Er versuche aber bei seinen öffentlichen Auftritten, nicht sich in den Mittelpunkt zu stellen, sondern "durchlässig zu sein für den Geist Gottes".
Der Benediktinerpater findet auch selbstkritische Worte: "Ich schreibe zwar Bücher über Gelassenheit und innere Ruhe. Aber manchmal spüre ich auch kleinkarierte Gedanken, Unruhe und Nervosität in mir." Und er berichtet von eigenen Glaubenszweifeln: "Ich kenne die Erfahrung, dass - wenn ich bete - der Zweifel kommt: Ist das alles Einbildung? Mache ich mir nur etwas vor, damit es mir einigermaßen gut geht? Ist das nur eine Selbstberuhigung?" Aber erst wenn er die Zweifel auch zulasse, spüre er einen Effekt: "Dann kommt in mir nicht im Kopf, sondern mehr im Bauch das Gefühl: Ich traue der Bibel, ich traue dem Glauben, ich setze auf diese Karte."
"Den Zweifel umarmen"
Grüns erstes von rund 300 Büchern erschien 1976 unter dem Titel "Reinheit des Herzens". Bei der Buchmesse stellt er "Den Zweifel umarmen: Die eigene Krise als Zeichen des Vorankommens" vor. Als er vor mehr als 50 Jahren ins Kloster eintrat, habe er ein anderes Gottesbild gehabt als heute, so der Ordensmann. Damals habe er sich Gott als jemanden vorgestellt, "der Leistung will und Askese".
Letztlich sei dies aber nur sein eigenes strenges "Über-ich" gewesen, das er "in Gott hineinprojiziert" habe. Nach einer persönlichen Krise habe er dann gelernt, Gott als jemanden zu sehen, "der mich lebendig hält" und "der Weite schafft".
Middelhoff formuliert seinen Weg zu einem "erfüllten Lebensmodell" noch etwas poetischer: Dieser gehe "vielleicht zurück von der Hölle in Richtung Himmel".