Nach dem rechtsextremen Anschlag auf eine Synagoge in Halle sehen mehr Menschen (59 Prozent) als zuvor die Gefahr, dass der Antisemitismus in Deutschland zunimmt. Noch vor einem Jahr waren es lediglich 40 Prozent, so eine repräsentative Umfrage von Infratest dimap für den Deutschlandtrend des ARD-Morgenmagazins (Freitag). Ein gutes Drittel (35 Prozent) der Bundesbürger sieht demnach keine steigende Judenfeindlichkeit; 2018 waren 51 Prozent dieser Meinung.
Auch mehr Politiker sehen Zunahme von Antisemitismus
Die Anhänger von Union, FDP, SPD, Linke und Grünen sehen laut der Umfrage zu zwei Dritteln und mehr eine Zunahme des Antisemitismus. Die Meinung der AfD-Anhänger in der Befragung war zweigeteilt: 47 Prozent sahen eine Zunahme der Judenfeindlichkeit, 48 Prozent nicht.
Befragt wurden vom 14. bis 16. Oktober 1.062 Wahlberechtigte. Die konkrete Frage lautete: "In letzter Zeit wird häufiger gesagt, dass sich in Deutschland Antisemitismus, also Judenfeindlichkeit, ausbreite. Sehen Sie das auch so oder nicht?"
Parlamentarier wollen besseren Schutz jüdischer Einrichtungen
In einer eigens nach dem Anschlag auf eine Synagoge in Halle einberufenen und teilweise sehr emotional geführten Bundestagsdebatte haben sich Parlamentarier aller Fraktionen für einen besseren Schutz von jüdischen Einrichtungen ausgesprochen.
Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) bezeichnete die Sicherheitslage als "ernst, was den Antisemitismus betrifft". Er werde alles dafür tun, dass Juden ohne Bedrohung und Hass leben können. Zugleich kündigte er verschiedene Maßnahmen zur Bekämpfung von Antisemitismus und Rechtsextremismus an.
Seehofer will unter anderem gemeinsam mit den Ländern den Schutz von jüdischen Einrichtungen verbessern. Weiter kündigte er eine "massive organisatorische und personelle Aufstockung der Sicherheitsbehörden" an. Es müsse mit Blick auf die rechtsextreme Szene zudem die gleichen Einheiten geben, die beim islamistischen Terror aufgebaut worden seien. Zugleich sollten das Waffenrecht sowie die Meldepflicht für Anbieter im Internet verschärft werden. Mit dem Bundesfamilienministerium wolle er darüber hinaus die Prävention etwa in Schulen ausbauen.
Lambrecht: "Größte Bedrohung des Gemeinwesens"
Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) bezeichnete den Rechtsextremismus als "größte Bedrohung des Gemeinwesens". Dagegen müsse "auf allen Ebenen und mit Konsequenz" vorgegangen werden. "Der Nährboden für Hass und Hetze" müsse ausgetrocknet werden. Sie bekräftigte ihr Vorhaben, Kommunalpolitiker besser vor rechtsradikaler Gewalt und Hetze zu schützen.
Vertreter von Grünen und Linken warfen der Bundesregierung vor, Gefahren durch Rechtsextremismus zu lange unterschätzt zu haben. "Wachen Sie endlich auf!", mahnte etwa die Grünen-Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt in Richtung Regierungsbank. Viel zu lange habe die Bundesregierung weggeschaut oder nur halbherzig gehandelt. Die Linken-Bundestagsabgeordnete Petra Sitte kritisierte, sie könne nicht verstehen, dass der Bundesinnenminister "nicht einen Hauch von Selbstzweifeln" vorbringe.
Die FDP warnte vor vorschnellen sicherheitspolitischen Maßnahmen und verteidigte eine "offene Gesellschaft". Bei der Bekämpfung von Antisemitismus trage jeder einzelne eine Verantwortung, betonte FDP-Generalsekretärin Linda Teuteberg. Zugleich warnte sie davor, dass Trauer und Ankündigungen letztlich nur als Lippenbekenntnis wahrgenommen würden.
Schäuble: "Beschämend für unser Land"
Die Regierungsfraktionen sowie FDP, Linke und Grüne warfen der AfD vor, das Klima für rechtsextremistische Gewalttaten geschaffen zu haben. Der AfD-Fraktionsvorsitzende Alexander Gauland wehrte sich gegen die Vorwürfe und betonte, "seit der Ausrufung der Willkommenskultur" sei es zu einer Radikalisierung der Gesellschaft gekommen. Verantwortung trügen diejenigen, die "kulturfremde Menschen" hereingelassen hätten.
Bereits bei der Eröffnung der Bundestagsdebatte war Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble ebenfalls auf den Anschlag in Halle eingegangen und hatte alltäglichen Judenhass "beschämend für unser Land" genannt. Nicht erst Halle habe gezeigt, dass Juden ihren Glauben nicht überall offen leben könnten, sagte Schäuble.