Theologe Zulehner will Priesterseminare in christliche Basisgemeinschaften umformen

Sexuelle Unreife Hauptgrund für Missbrauch?

Aus Sicht des Theologen Paul Zulehner ist die Hauptursache für sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche eine sexuelle Unreife der Täter. Bisherige Schuldzuschreibungen stellt er in Frage und thematisiert die "Befreiung der Liebe" durch die 68er.

Priesterseminare als strukturelles Entwicklungshindernis für erotisch-sexuelle Reifung? / © Harald Oppitz (KNA)
Priesterseminare als strukturelles Entwicklungshindernis für erotisch-sexuelle Reifung? / © Harald Oppitz ( KNA )

Zulehner äußerte sich in dem am Freitag veröffentlichten ersten Teil einer Online-Studie zu Missbrauch. Die Gesamtstudie erscheint 2020. Zu der Tatsache, dass in den Familien und in der umgebenden Kultur "zu viele Männer erotisch wie sexuell unreif aufwachsen", kämen verschärfend noch strukturelle Probleme im Kirchensystem hinzu.

Darin stellt der frühere Professor für Pastoraltheologie auch bisherige Schuldzuschreibungen in Frage. Es könne sein, dass die kirchlichen restriktiven Sexualnormen zu unreifer und neurotisierter Sexualität führten; doch sei der Einfluss der Kirche gerade mit Blick auf die Sexualkultur inzwischen gesellschaftlich völlig bedeutungslos.

So stelle sich die Frage "ob die "Befreiung der Liebe", wie sie seit den 1968ern stattgefunden hat, tatsächlich zu besserem Gelingen der erotisch-sexuellen Reifung geführt habe. "Hätte dann nicht der verbreitete Missbrauch von Kindern aufhören müssen? Ist er nicht im Gegenteil angestiegen und unverfrorener, im Internet sogar kommerzialisiert geworden?" Die Sexualkultur, die sich nach der "sexuellen Revolution" ohne Mitwirkung der Kirche ausgebildet habe, habe den Missbrauch offenkundig nicht vermindert.

Zölibat als "negativer Auslesefaktor"

Allerdings könne sich die Verpflichtung zum Zölibat als "negativer Auslesefaktor" für sexuell unreife Männer auswirken. Ebenso stelle sich "in aller Schärfe" die Frage, ob das "System Priesterseminar" nicht ein strukturelles Entwicklungshindernis für erotisch-sexuelle Reifung darstellen könne.

Der Zölibat als solcher ist jedoch Zulehner zufolge noch nicht die Ursache für sexuellen Missbrauch. "Wäre dies der Fall, dann würde das Hauptfeld des Missbrauchs in der Gesellschaft nicht in den Familien liegen." Vielmehr werde klar, "dass es die erotisch-sexuelle Unreife ist, mit der ein Kandidat in die zölibatäre Lebensform eintritt". 

Zulehner schlägt vor, Priesterseminare in eine Art christlicher Basisgemeinschaft umzuformen, in der (junge) Frauen und Männer gemeinsam leben, Eucharistie feiern und studieren. Es wäre in solchen Basisgemeinschaften möglich, so der Theologe, sich in einem offeneren Feld "freier" für die Ehelosigkeit, aber auch für eine Ehe zu entscheiden. "Die Kirche ist gut beraten, auf beide Lebensformen vorzubereiten", so der Theologe.

Aufsatz von Benedikt XVI. sorgte für viel Aufsehen und Kritik

Zuletzt hatte Mitte April ein Aufsatz von Benedikt XVI. für viel Aufsehen und Kritik gesorgt, in dem der emeritierte Papst als zentrale Ursache für Missbrauch Gottlosigkeit und eine Entfremdung vom Glauben benannte, die sich seit den 1960er Jahren auch in einer Abkehr von der katholischen Sexualmoral breitgemacht habe.

Mehrere Theologen wandten sich gegen die Aussage Benedikts, seit den 1960er Jahren habe sich ein "Zusammenbruch der katholischen Moraltheologie ereignet, der die Kirche wehrlos gegenüber den Vorgängen in der Gesellschaft machte".


Paul Zulehner, Pastoraltheologe / © Lukas Ilgner (KNA)
Paul Zulehner, Pastoraltheologe / © Lukas Ilgner ( KNA )
Quelle:
KNA