Frankreich ist das europäische Land mit den meisten Muslimen: Schätzungen zufolge sechs Millionen. Trotzdem tut sich das Land schwer, einen angemessenen Umgang mit der Religion Mohammeds zu finden. Derzeit erlebt die Debatte um den Islam wieder einen Höhepunkt.
Zwei Verletzte vor einer Moschee
Mitte September forderte ein Abgeordneter der rechtsnationalen Partei Rassemblement National, dass eine muslimische Mutter, die eine Schulklasse begleitet, ihr islamisches Kopftuch abzunehmen habe. Anfang Oktober erstach ein radikalisierter muslimischer Polizist in Paris vier Menschen. Am Montag nun verletzte ein 84-jähriger Anhänger des Rassemblement National zwei Menschen vor einer Moschee im südfranzösischen Bayonne, die er anzünden wollte.
Im Spannungsfeld zwischen Populismus, Islamophobie und der Trennung von Staat und Kirche die Debatte um den Islam zum gesellschaftlichen Pulverfass zu werden. Staatspräsident Emmanuel Macron tat am Dienstag alles, um wieder Herr der Diskussion zu werden. Am Montagabend traf er sich mit dem Französischen Islamrat (CFCM). Auf der Agenda standen das Kopftuch und Maßnahmen gegen Radikalisierung.
Künftig soll demnach ein Gremium Unbedenklichkeitszertifikate für Imame ausstellen. Wenn Inhalte ihrer Reden aber französischen Gesetzen widersprechen, soll dieses Zertifikat entzogen werden können.
Macron: "Großer Diskurs" zur Trennung von Staat und Religion
Macron tut sich mit dem Thema schwer. Zu Beginn seiner Amtszeit 2017 hatte er einen "großen Diskurs" zur Trennung von Staat und Religion angekündigt; den hat es bislang nicht gegeben. Anfangs stürzte sich der Präsident enthusiastisch auf das Thema. Er traf Religionsvertreter, nahm an Themenveranstaltungen teil und wollte dem Verhältnis von Staat und Kirche neue Nuancen geben. Laizismus sollte, so der Präsident, "inklusiver" werden.
Seit Jahren streiten Politiker und Intellektuelle in Frankreich über die Interpretation des Gesetzes zur Trennung von Staat und Kirche von 1905. Soll es "inklusiv" ausgelegt werden, Religion also mehr in politische Erwägungen miteinbezogen werden? Oder soll sie noch mehr aus der Öffentlichkeit verschwinden?
Sichtbare religiöse Symbole sorgen seit Jahren für heftige Debatten im Land. Zur Freibadsaison wird über den Burkini gestritten. Zurzeit sorgt das islamische Kopftuch für Erregung. Für Schüler ist es schon seit 2004 verboten. Sollte es dann nicht auch für muslimische Mütter untersagt sein, die als Begleitpersonen bei Schülerausflügen mitfahren? Ja, finden rechte Abgeordnete.
Mehrheit wünsche sich ein Verbot religiöser Zeichen in der Öffentlichkeit
Im Senat brachte nun ein Abgeordneter der Republikaner einen entsprechenden Gesetzesvorschlag ein. Bildungsminister Jean-Michel Blanquer, der zuvor noch erklärt hatte, das Tragen eines Kopftuchs sei "in unserer Gesellschaft nicht erwünscht", bezeichnete die Eingabe aber nun als "kontraproduktiv". Man erreiche damit nicht das Ziel, die Familien enger an die Schulen zu binden.
101 Muslime veröffentlichten zuletzt einen Offenen Brief in der Zeitschrift "Marianne", der das islamische Kopftuch als "sexistisch und aufklärungsfeindlich" beschreibt. In einer jüngsten Umfrage des Ifop-Instituts für das "Le Journal du Dimanche" wünscht sich die Mehrheit der Befragten ein weitergehendes Verbot religiöser Zeichen in der Öffentlichkeit. 78 Prozent der Befragten sehen das französische Modell der Trennung von Kirche und Staat "in Gefahr".
Macron befürchtet Stigmatisierung muslimischer Franzosen
Der Politologe Philippe Portier sprach in der Zeitung "La Croix" von eine "schwierigen" Polarisierung der Gesellschaft zwischen Säkularen und Religionsangehörigen. Frankreich sei kein Land mit "homogener", größtenteils "katholisch-laizistischer" Bevölkerung mehr.
Diese gesellschaftliche Vielfalt stellt das französische System von vor mehr als 100 Jahren vor neue Herausforderungen. Macron befürchtet eine Stigmatisierung muslimischer Franzosen und ruft zu Einheit ein - doch die Bevölkerung erwartet mehr von ihm. Mit seiner emotionalen Ansprache konnte er vor zwei Jahren noch punkten. Inzwischen wird er an dem gemessen, was er erreicht hat.