Wie ist das katholische Leben in Nordeuropa?

"Das Band der Gemeinschaft ist sehr stark"

Die nächste Kirche ist bis zu vier Autostunden entfernt, auf eine Schulklasse kommt ein katholisches Kind. Das ist Alltag in Nordeuropa. Was bedeutet das für die Gemeinde vor Ort - was braucht es und was funktioniert gut?

Symbolbild: In den USA hat Pfarrer James Mallon mit neuen Prinzipien und mit seinem Team die Gemeinden verändert / © N.N. (shutterstock)
Symbolbild: In den USA hat Pfarrer James Mallon mit neuen Prinzipien und mit seinem Team die Gemeinden verändert / © N.N. ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Was sind die größte Herausforderungen im Leben und Glauben in der Diaspora?

Sr. Anna-Mirijam Kaschner (Generalsekretärin der nordischen Bischofskonferenz): Ich würde sagen, das sind drei verschiedene große Herausforderungen: Das ist einmal die große Entfernung hin zu den nächsten Gottesdienstorten. Das bedeutet manchmal für die Gläubigen, dass sie Zeiten von drei bis vier Autostunden auf sich nehmen, um zum Gottesdienst zu kommen.

Eine weitere Herausforderung ist das Fehlen der Glaubensgemeinschaft. Man muss sich vorstellen, dass es in großen Gebieten wie in Schweden oder Norwegen oftmals ein einziges katholisches Kind an einer Schule gibt. Wenn dieses Kind zur Erstkommunion geht, weckt das bei den Mitschülern Fragen. Da steht das Kind mehr oder weniger alleine da.

Für die Kirche selbst ist ein weiterer Punkt der Finanzmangel bei einem gleichzeitigen riesigen Bedarf an Personal, neuen Kirchen, Gemeinderäumen und Instandhaltungskosten. Unsere Kirchen werden in der Regel nicht vom Staat mit finanziert, sondern sind allein von den Mitteln und Spenden der eigenen Gläubigen abhängig.

DOMRADIO.DE: Die katholische Kirche befindet sich in schwierigem Fahrwasser. Da ist der Missbrauchsskandal, es wird über die Rolle von Laien diskutiert und so weiter. Was kriegen Sie in der Diaspora davon mit und was berührt Sie?

Kaschner: Der Missbrauchsskandal hat auch bei uns große Spuren hinterlassen. Es gab Kirchenaustritte, die Menschen waren wirklich geschockt, wie überall, wo das Thema angesprochen wurde. Man schaut jetzt nach Rom. Die Amazonas-Synode wurde auch mitverfolgt. Aber der Fokus des Interesses unserer Gläubigen liegt eher auf den ganz grundlegenden Bedürfnissen, die ich vorhin angesprochen habe: Wie komme ich zur Kirche? Wie finde ich gleichgesinnte Glaubensgenossen?

Unsere Gläubigen erleben auch bei ihren evangelischen Glaubensbrüdern- und schwestern, was die Rolle der Frau angeht oder die in Deutschland groß diskutierte Abschaffung des Zölibats, dass dort mehr und mehr der eigentliche Glaube schwindet. Das ist der Punkt, wo auch für unsere Gläubigen klar wird: Da müssen wir eigentlich ansetzen. Wir müssen den Glauben neu verkünden - in einer Sprache, in einer Weise, die den Menschen von heute anspricht, damit Glaube in der Diaspora auch wirklich trägt und lebendig bleibt.

DOMRADIO.DE: Welche Dinge gelingen in der Diaspora besonders gut, die auch andere inspirieren können?

Kaschner: Obwohl wir wenige sind, ist das Band der Gemeinschaft sehr stark. Menschen, die die katholische Kirche erleben, sagen uns immer wieder: Mensch, toll, was für eine Gemeinschaft ihr habt! Oder die Mitbeteiligung der Laien in Gottesdiensten: Wir können ohne die Laien im Grunde unsere Kirche gar nicht aufrechterhalten. Das ist eine Selbstverständlichkeit, dass sich Menschen im kirchlichen Leben engagieren, ohne dafür Geld zu erhalten. Pastoralreferenten gibt es bei uns fast gar nicht, weil wir viele Laien haben, die diese Aufgaben übernehmen.

DOMRADIO.DE: "Werde Glaubensstifter" - das ist das Leitwort der Diaspora-Aktion in diesem Jahr. Was ist für Sie persönlich ein Glaubensstifter?

Kaschner: In diesem wunderschönen Wort stecken für mich zwei Ansätze: Das eine ist, dass es darum geht, den Glauben zu entzünden, anzustiften. Das zweite, was mir noch viel wichtiger ist: den Glauben wie eine Stiftung zu schenken, quasi umsonst. Glaubensstifter sind für mich Menschen, die bereit sind, ganz persönlich von ihren Glaubenserfahrungen zu sprechen - von ihrem Leben in der Kirche, ihrem Leben mit Gott - und dann ihre persönliche Gotteserfahrung mit anderen Menschen zu teilen. Das entzündet wirklich Glauben.

DOMRADIO.DE: Was wünschen Sie sich für dieses Jahr?

Kaschner: Ich wünsche mir sehr, dass Menschen sich für die Situation unserer Christen in der Diaspora interessieren. Das betrifft nicht nur die nordische Kirche, das betrifft auch Ostdeutschland, wo die Anzahl der Gläubigen sehr gering ist. Dass wir noch mehr Solidarität entwickeln können und dass uns bewusst wird, dass es Menschen auch in unserer Nähe gibt, die es sehr schwer haben, ihren Glauben zu leben. Und dass wir diese Menschen unterstützen, und ich meine jetzt nicht nur finanziell, sondern auch im Gebet. Das wäre mir ganz wichtig. 

Das Gespräch führte Katharina Geiger.

 

 Sr. Anna Mirijam Kaschner / © Julia Rathcke (KNA)
Sr. Anna Mirijam Kaschner / © Julia Rathcke ( KNA )

 

Kirche in Norwegen  / © Ingrid Pakats  (shutterstock)
Quelle:
DR