DOMRADIO.DE: Warum interessieren Sie sich für das Thema "geschlechtergerechte Kirche"?
Schwester Philippa Rath (Benediktinerin in der Abtei St. Hildegard von Bingen): Ich muss gestehen, ich habe mich sehr lange überhaupt nicht um das Thema gekümmert. In unseren Klöstern sind wir selbstständig und unabhängig, da sind die Frauen schon gleichberechtigt. Ich begleite aber seit zehn Jahren viele Menschen in Krisensituationen. Da begegnen mir Missbrauchsopfer, Menschen, die ohnmächtig, verzweifelt, wütend sind. Menschen, die eigentlich gut katholisch sind, aber mit dem Gedanken spielen, auszutreten oder schon ausgetreten sind und ihren "Ersatz-Hafen" in den Klöstern suchen. Das hat mich zu dem Thema gebracht.
Dann habe ich mich in verschiedenen Initiativen engagiert, vor allem in der Initiative "Overcoming Silence". Das ist eine internationale Initiative für Frauenrechte in der Kirche. Frauen aller Art – auch Ordensfrauen – engagieren sich. Das ist mein Thema im Moment. Es ist aber ein reines Hobby, ich engagiere mich dafür nicht hauptamtlich. Es gibt viele andere Aufgaben im Kloster.
DOMRADIO.DE: Was verstehen Sie unter Geschlechtergerechtigkeit?
Schwester Philippa: Ich verstehe darunter persönlich vor allem, dass Frauen mehr Partizipation, mehr Mitentscheidungsrechte in der Kirche haben. Es sollte meines Erachtens Ämter für Frauen geben, auch Weiheämter. Ich bin nicht darauf fixiert, morgen das Frauenpriestertum einzuführen. Ich denke aber, es sollte über die kirchlichen Strukturen neu nachgedacht werden – auch über die Sakramentenpastoral.
Ich selbst war einige Jahre Krankenhausseelsorgerin und habe am eigenen Leib erfahren, dass man Kranke bis zum Sterben begleitet und dann kurz vorher für die Krankensalbung den Priester rufen muss – was einfach eine unorganische und gar nicht schöne Lösung ist. Das ist nur eines von vielen Beispielen.
Zu uns in die Kirche kommen viele Protestanten. Das gemeinsame Mahl ist auch wichtig, aber vor allem eine Partizipation und Kommunikation auf Augenhöhe. Es braucht mehr Frauen in Leistungsämter, in welchen auch immer.
DOMRADIO.DE: Wie könnte man Geschlechtergerechtigkeit in den Ordensgemeinschaften möglich machen oder stärken?
Schwester Philippa: Eigentlich haben wir Geschlechtergerechtigkeit. Mein Kloster ist im Verbund der Klöster der "Beuroner Kongregation". Dort sind wir neun Männerabteien und neun Frauenabteien – es herrscht also Geschlechtergerechtigkeit. Wir treffen uns auf allen Ebenen, die Entscheidungsträgerinnen und -träger entscheiden gemeinsam. Es gibt keine Hierarchie von oben nach unten, sondern eine vertikale Hierarchie. Wir haben alle die gleichen Rechte und Pflichten.
DOMRADIO.DE: Wenn wir uns die Ordensgemeinschaften anschauen, zum Beispiel auch Frauenklöster, dann gibt es doch schon lange Frauen in Leitungsfunktionen, oder?
Schwester Philippa: Das ist richtig. Deshalb könnten die kirchlichen Strukturen sich auch an den Strukturen in den alten Klöstern, in den alten Orden, orientieren. Unser Orden ist 1.500 Jahre alt. Die Äbtissinnen waren immer geistliche Leiterinnen. Dazu gab es ökonomische Leiterinnen und Frauen, die in der geistlichen Begleitung und in der Seelsorge aktiv waren. Frauen in Leitungsfunktionen gab es in den Klöstern also von Anfang an.
DOMRADIO.DE: Wenn bereits so viel Potenzial da ist: Wo sehen Sie denn Entwicklungsbedarf beim Thema "Geschlechtergerechtigkeit in der Kirche"?
Schwester Philippa: Es wäre ein interessanter Lernprozess, dass sich diese Strukturen der Orden auf die gesamte Kirche ausdehnen. Die Bischofskonferenz hat sich eine Frauenquote von 30 Prozent verordnet. davon sind wir noch weit entfernt. Es können meines Erachtens auch gut 60 oder 50 Prozent sein. Auch das Thema geistliche Macht ist hochaktuell. Daran muss gearbeitet werden.
DOMRADIO.DE: Geschlechtergerechtigkeit ist ja nicht nur ein Thema innerhalb der Kirche, sondern auch gesamtgesellschaftlich. Warum ist das so?
Schwester Philippa: Da fragen Sie mich ehrlich gesagt zu viel. Ich bin nur überzeugt, dass es dem göttlichen Willen entspricht. Gott hat die Menschen als Mann und Frau erschaffen, sie sollen gemeinsam die Welt gestalten. Vor 100 Jahren haben die Frauen das Wahlrecht erkämpft. Ich denke, in so einem Prozess sind wir jetzt in der Kirche. Es muss sich nun wirklich dafür eingesetzt und gekämpft werden – unter Umständen auch mit provokativen Aktionen, um auf das Thema aufmerksam zu machen und das eigene Geschlecht zu aktivieren.
Es gibt sehr viele Frauen, die in ihrem Denken noch nicht soweit sind. Ich selber begleite eine kfd-Gruppe in Bingen. Die Frauen dort haben so verinnerlicht, dass sie für das Kuchen backen und Saubermachen in der Kirche verantwortlich sind und für nichts weiter. Man muss da erst noch einen Bewusstseinsprozess schaffen. Es gibt aber zunehmend Frauen, die sich sehr deutlich positionieren und engagieren.
DOMRADIO.DE: Was könnte die Diskussion bewirken?
Schwester Philippa: Mein Ziel ist, die Frauen zu bestärken, sich zu engagieren und nicht nachzulassen. Es gibt immer wieder Rückschläge, mit der Amazonas-Synode waren Hoffnungen verbunden. Es sind auch Hoffnungen mit Papst Franziskus verbunden, ebenso mit dem Synodalen Weg. Da gibt es schon kleinere Rückschläge und Auseinandersetzungen im Vorfeld.
Ich möchte einfach ermutigen, an dem Thema dranzubleiben, sich nicht einschüchtern und in die Ecke drängen zu lassen, sondern sich weiter für ein berechtigtes und lang überfälliges Thema zu engagieren.
Das Interview führte Martin Bornemeier.