DOMRADIO.DE: Herr Kardinal, in diesem Jahr jährte sich die Leipziger Disputation zwischen dem Reformator Martin Luther und dem katholischen Dominikanerpater Johannes Eck zum 500. Mal. Sie sind aus diesem Anlass zu Gast in Leipzig und diskutieren mit Bischof Wolfgang Huber über die Zukunft der Ökumene. Die Euphorie vieler gerade nach dem Luther-Jahr 2017 ist ein wenig abgeklungen, waren da die Erwartungen zu hoch?
Walter Kardinal Kasper (bis 2010 Präsident des Rates zur Förderung der Einheit der Christen): Das würde ich nicht sagen. Das ist normal, dass das nach solchen Höhepunkten auch emotionaler Art zurückgeht. Aber die Ökumene marschiert weiter. Natürlich hat es in Deutschland gerade in der Kommunionfrage gewisse Schwierigkeiten gegeben. Aber insgesamt haben wir doch einen Weg, glaube ich, in den meisten Diözesen gefunden, um Menschen, die in schwierigen, komplexen Situationen sind, weiter zu helfen.
DOMRADIO.DE: Was ist Ihre Einschätzung, wo stehen wir denn im Moment, wenn es um die Ökumene geht?
Kasper: Wir haben ja ganz große Fortschritte gemacht. Das darf man gar nicht vergessen! Gerade im Reformationsjahr haben nun sämtliche Kirchen, die es im 16. Jahrhundert bereits gegeben hat, die gemeinsame Erklärung über die Rechtfertigungslehre unterschrieben. Damit ist in allen großen Kirchen westlicher Art ja ein großer Konsens entstanden. Dann kam noch die Magdeburger Erklärung dazu, die gegenseitige Anerkennung der Taufe. Was ja bedeutet: Wir sind schon in gewisser Weise, in fundamentaler Weise, die eine Kirche Jesu Christi durch eine gemeinsame Taufe. Das sind Fortschritte, die man nicht kleinreden soll. Es kann nicht immer nur Höhepunkte geben. Jetzt wird diskutiert über das nächste große Thema: Kirche, Eucharistie, Amt. Da sind Diskussionen angelaufen, nicht nur in Rom im Einheitsrat. Das geht nicht von heute auf morgen. Aber da ist mehr Werden, als man so denkt. Und ich meine, wenn jeder an seinem Ort tut, was er tun kann, kommen wir auch weiter.
DOMRADIO.DE: Man hört immer wieder die Begriffe der “versöhnten Verschiedenheit“ und der "Einheit in Vielfalt". Da gibt es aber auch Kritik. Das wird dann Etikettenschwindel genannt, Unterschiede würden da einfach schön geredet, so der Vorwurf. Ist da nicht auch etwas dran?
Kasper: Selbstverständlich ist da etwas Richtiges dran. Das geschieht manchmal, die Unterschiede kleinzureden. Die "versöhnte Verschiedenheit" ist eine Zielbestimmung. Das besagt ja nicht, dass wir heute schon da sind. Natürlich müssen wir noch bestehende Unterschiede, die es vor allem im Kirchenverständnis, im Amtsverständnis gibt, sehen. Da müssen wir noch hart daran arbeiten. Ich will da gar nichts kleinreden. Aber das Ziel ist die "versöhnte Verschiedenheit", die ist jetzt noch nicht in allem versöhnt. Das ist ein Ziel, auf das wir zugehen, das sagt: Es kann nicht einfach eine Einheitskirche geben, die eine Kirche. Da wird es auch unterschiedliche Traditionen geben. Aber die müssen versöhnt sein, müssen sich gegenseitig anerkennen. So weit sind wir noch nicht. Aber eine Einheitskirche war die Kirche auch im Mittelalter nicht. Da war sehr viel mehr Verschiedenheit, als uns heute im allgemeinen Bewusstsein ist. Aber Sie haben sich als die eine Kirche verstanden und gegenseitig anerkannt.
DOMRADIO.DE: Wie könnte denn so eine Einheitskirche im 21. Jahrhundert aussehen?
Kasper: Ich halte nichts davon, da jetzt Sandkastenspiele zu machen, wie das aussehen soll. Es kommt erstens anders und zweitens, als man denkt. Der Heilige Geist ist immer wieder für Überraschungen gut. Man soll die Schritte tun, die man im Augenblick verantwortlich und möglichst gemeinsam tun kann. Es gibt vieles, das Christen gemeinsam tun können. Und aus vielen Rinnsalen ergibt sich dann schließlich auch mal Bach und ein Strom. Aber jetzt gebe ich hier keine großen Zukunftsentwürfe.
DOMRADIO.DE: Wenn Sie über die Diaspora sprechen hier in Leipzig: Kann denn so eine Situation die Ökumene befördern, befeuern, wenn man als Kirche in der Minderheitssituation ist?
Kasper: Ja, sicher, insofern, dass das natürlich ein bewussteres Christsein zur Folge hat und man weiß, wofür man steht. Das ist bei uns in Westdeutschland, Südwestdeutschland, noch nicht in der gleichen Weise der Fall. Wir gehen ähnlichen Herausforderungen entgegen. Auch Minoritäten können eine Bedeutung haben für die Gesellschaft. Wenn sie aktiv sind, wenn sie selbstbewusst und zugleich offen sind.
DOMRADIO.DE: Wir Katholiken in der deutschsprachigen Region sind ja den Protestanten relativ nahe. In anderen Regionen gibt es da weniger Berührungspunkte und auch mehr Kritik an der anderen Seite. Macht das den Dialog komplizierter?
Kasper: Natürlich gibt es unterschiedliche Situationen. Ich lebe jetzt seit 20 Jahren in Italien. Auch hier finde ich sehr viel Interesse an der Ökumene, auch wenn es da nicht so viele direkte Kontakte gibt. Es gibt ein Interesse an der Ökumene mit den Ostkirchen aber auch mit dem Protestantismus. Aber es gibt unterschiedliche Geschwindigkeiten. Es kommt sehr schlecht an und ist auch schlecht angekommen, wenn wir Deutsche den Eindruck erwecken, wir zeigten den anderen, wo es lang geht. Da müssen wir sehr, sehr aufpassen. Weltkirche, das ist ja nicht die Kurie in Rom, das sind 1,3 Milliarden Menschen auf der ganzen Welt, die sich als katholisch bezeichnen. Und es gehört mit zum katholisch sein, dass man auch mithört, was die anderen sagen, was die für Erfahrungen und Erwartungen haben. Wir Deutsche können beeinflussen und einen Beitrag leisten. Aber wir können nicht einfach sagen, wo es lang geht.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.