Kostenlose Lieferung am nächsten Tag, den Film von morgen schon heute in der Mediathek anschauen, immer schnellere Autos oder noch zügigere Flugverbindungen: Es scheint, als ob eine ganze Welt das Warten verlernt hätte. Zumindest kann man sich dieses Eindrucks nicht ganz verwehren, wenn man einmal bedenkt, wie wenig in unserer Gesellschaft noch gewartet wird.
Zwei Menschen in der Schlange an der Supermarktkasse sind da schon ein Grund, die Hände über dem Kopf zusammenzuschlagen, weil es ja wieder so lange dauert. Oder wenn das heiß ersehnte Päckchen wieder einen Tag länger braucht als angekündigt, und der Postbote dann den Zorn über die verspätete Lieferung abbekommt. Das alles ist gar nichts Unbekanntes - jeden Tag aufs Neue kommt es vor. Und dabei könnte man sich so viel Ärger eigentlich sparen, denn nur in seltenen Fällen haben es Menschen wirklich so unglaublich eilig, wie sie es gerne vorgeben.
Erdbeeren im tiefsten Winter
Warten fällt schwer, weil unsere Zeit einen ganz anderen Takt besitzt: Immer schneller, immer weiter, immer höher muss es gehen. Und wehe, man macht nicht mit. Dabei hat das Warten doch auch ganz positive Seiten: Die Vorfreude zum Beispiel, die jeden Tag ein bisschen mehr wächst und größer wird, je länger die Wartezeit dauert.
Freilich, man kann alles jetzt und gleich und hier und heute haben. Aber vielleicht ist besser sich vorzubereiten, sich zu freuen, auf das, was kommt. Vieles gewinnt ja erst dann wirklich an Wert, wenn man sich zuvor lange genug darauf einstimmt. Erdbeeren im tiefsten Winter aus dem Supermarktregal zu ziehen, gehört zwar längst zu unserem Alltag - aber all das kann nicht mithalten mit dem Genuss der ersten Beeren, die man im eigenen Garten im Frühsommer erntet. Mit der Wartezeit wächst die Vorfreude und mit der Vorfreude die Wertschätzung dessen, was es eben nicht zu jeder beliebigen Jahreszeit gibt.
Ganz langsam, ganz behutsam
Jedes Jahr aufs Neue mutet der Kalender im Dezember den Menschen wieder etwas ganz Ungewohntes zu: eine vierwöchige Wartezeit. Advent heißt diese Zeit, die als Vorbereitung und Einstimmung auf das Weihnachtsfest dienen soll. Hier geht es so ganz anders zu, als man das sonst gewohnt ist. Man kann nicht einfach Weihnachten machen, je nach Belieben. Weihnachten braucht den Advent, beides gehört untrennbar zusammen. Denn ohne das Warten, ohne die wachsende Vorfreude, ohne die nötige Vorbereitung wäre Weihnachten nur halb so festlich.
Der Advent lädt die Menschen ein zu warten. Jede Woche wird wieder eine Kerze auf dem Kranz entzündet, jeden Tag wird wieder ein Türchen am Adventskalender geöffnet. Ganz langsam, ganz behutsam, schön eines nach dem anderen. Das ist ein Rhythmus, der vielen schwer fällt. Viel leichter wäre es doch, heute schon alle Kerzen anzuzünden, heute schon alle Türchen zu öffnen. Das aber würde der Adventszeit ihren Wert nehmen. Denn sie mahnt ja gerade, das Warten nicht zu vergessen, sondern es neu einzuüben.
Die Vorfreude wächst
Warten aber nicht einfach nur um des Wartens willen, sondern Warten, damit die Vorfreude wächst, damit die Wertschätzung dessen steigt, was wir an Weihnachten feiern.
Wieder warten lernen: Das kann eine kleine Übung für diese Adventszeit sein. Gerade wenn es alle anderen eilig haben, mit dem Gefühl, Zeit zu haben, in die Stadt gehen. Sich nicht immer und überall vordrängeln, sondern sich bewusst zurücknehmen und den anderen in Ruhe den Vortritt zu lassen. Aber auch: Nicht überall dabei sein zu müssen, nicht auf jeder Weihnachtsfeier zu tanzen, sich nicht selbst unnötig Stress zu machen.
Die Adventszeit als Wartezeit zu nutzen, heißt auch: sich Zeit zu nehmen für die Dinge, die wirklich wichtig sind. An die Menschen zu denken, die man das ganze Jahr über vernachlässigt oder eingeschlafene Beziehungen wieder zum Leben zu erwecken. Es gibt so vieles, was man in dieser geschenkten Zeit tun kann. Warten zu müssen ist nichts Lästiges. Wer wartet, lernt vieles neu wertzuschätzen und bekommt einen Blick für die Dinge, die im Leben wirklich zählen. Die Adventszeit ist eine geschenkte Wartezeit.