DOMRADIO.DE: Was sind die Gründe dafür, dass Frauen über 60 Jahre alt sind und ihre Wohnung verlieren?
Katja Caliebe (Sozialdienst katholischer Frauen e.V. Köln): Als ich in der Obdachlosenhilfe angefangen habe, war ich sehr überrascht: Es sind häufig die älteren Frauen, die von Wohnungslosigkeit bedroht sind. Die haben dann meist nicht auf der Straße gelebt, sondern in einer Wohnung. Und dann gibt es ein einschneidendes Erlebnis und der Wohnraum kann nicht mehr finanziert werden – etwa wenn der Partner verstirbt. Oder ich habe auch schon Fälle gehabt, da wurde das eigene Elternteil gepflegt. Und nach dem Tod ist die Wohnung dann zu groß und die Rente zu klein. Es droht die Obdachlosigkeit.
DOMRADIO.DE: Laut aktuellen Schätzungen gibt es im Moment etwa 59.000 obdachlose Frauen in Deutschland. Fachleute glauben, dass viele dieser Betroffenen bei den Behörden gar nicht in Erscheinung treten. Woran liegt das?
Caliebe: Zum einen daran, dass es bei Frauen eine verdeckte Obdachlosigkeit gibt. Viele versuchen bei Freunden oder Bekannten unterzukommen und melden sich nicht bei den zuständigen Stellen. Zum anderen wissen viele Betroffenen nicht, wo genau sie Hilfe bekommen oder sie schämen sich zu sehr und wollen sich nicht eingestehen, dass sie Unterstützung benötigen und zumindest eine Zeit lang auf Kosten anderer leben müssen. Diese Frauen umgehen dann die Ämter.
DOMRADIO.DE: Sie haben beim Sozialdienst katholischer Frauen, SkF, das "Quartier 67" gegründet – eine Art Wohngemeinschaft für ehemals wohnungslose Frauen, die älter als 60 Jahre sind. Wie können Sie denen helfen?
Caliebe: Indem wir ihnen erst einmal einen Schutzraum bieten, wo sie wieder zur Ruhe kommen können. Im Quartier 67 in Köln haben sechs Frauen Platz, obwohl der Bedarf natürlich viel höher wäre. Die Bewohnerinnen bekommen hier ein eigenes Zimmer mit kleiner Kochnische und eigenem Bad. Sie erhalten also wieder ein Stück Privatsphäre und können sich zurückziehen, wenn das Bedürfnis besteht. Aber es gibt auch einen Gemeinschaftsraum und jederzeit die Möglichkeit zum Gespräch mit mir als Sozialarbeiterin oder einer Haushälterin, die auch regelmäßig vorbeischaut. Nach Jahren in der Obdachlosigkeit gibt es bei einigen Betroffenen die Tendenz, zu verwahrlosen. Also hilft die Haushälterin beim Aufräumen, Wäsche waschen und Einkaufen. Außerdem gibt es noch eine Krankenschwester, die eine mögliche Medikamentengabe kontrolliert.
DOMRADIO.DE: Gibt es spezielle medizinische Bedürfnisse bei Frauen, die im höheren Alter obdachlos geworden sind?
Caliebe: Die Obdachlosigkeit sorgt für enormen Stress und Betroffene altern schneller. Wenn der Druck dann in der Phase, in der wieder eine eigene Wohnung bezogen wurde, nachlässt, meldet sich oft der Körper. Viele Frauen haben mit Herz-Kreislauf-Problemen zu kämpfen, mit Asthma und mit Depressionen. Außerdem war in der Obdachlosigkeit meist kein Kontakt zu einem Arzt vorhanden und die Routinekontrollen müssen nachgeholt werden – also etwa der Besuch beim Gynäkologen oder beim Zahnarzt. Nicht selten haben die Betroffenen auch Angst vor einem Arztbesuch und es braucht viel Geduld und Einfühlungsvermögen um die medizinische Versorgung wieder möglich zu machen.
DOMRADIO.DE: Hilfe ist auch von staatlicher Seite gefragt. Was muss sich ändern, damit weniger Frauen von Obdachlosigkeit bedroht sind?
Caliebe: Vor allem geht es um bezahlbaren Wohnraum. Frauen haben oft eine kleinere Rente und können sich weniger leisten. Und es gibt in den Großstädten wie Köln leider viel zu wenig kleinere Wohnungen für Alleinstehende. Einem einzelnen Menschen stehen 50 Quadratmeter zu. Ist die Wohnung größer, muss das Sozialamt oder das Jobcenter zustimmen und die haben ihre Obergrenzen. Und dann würden wir uns natürlich wünschen, dass es mehr Angebote wie unsere Alters-WG, also das Quartier 67 vom SkF in Köln, gibt. Denn wie gesagt: Bei uns kommen sechs Frauen unter, der Bedarf ist aber deutlich höher.
Das Interview führte Alexandra Paul.