epd: Herr Becker-Huberti, warum liegen unter dem Weihnachtsbaum eigentlich Geschenke?
Manfred Becker-Huberti (Theologe und Brauchtumsexperte): Daran ist der Reformator Martin Luther (1483-1546) Schuld. Martin Luther hatte etwas gegen das Schenken, das ursprünglich mit dem heiligen Nikolaus von Myra verbunden war. Am Nikolaustag verschenkte man Kleinigkeiten - in Erinnerung an die Jungfrauen-Legende, die besagt, dass Nikolaus von Myra drei Mädchen vor der Prostitution rettete, indem er ihnen Goldklumpen ins Haus warf. Die Mädchen hatten dadurch eine Aussteuer und konnten heiraten. Das hat man im Brauchtum nachvollzogen und das Schenken eingeführt - zwar nicht mit Goldklumpen, aber immerhin mit Nüssen, Äpfeln und Gebäck, die Kinder am Abend vor dem Nikolaustag geschenkt bekamen.
epd: Wie kam es dazu, dass wir uns heute an Weihnachten so reich beschenken und nicht mehr zu Nikolaus am 6. Dezember?
Becker-Huberti: Martin Luther wollte die Heiligen abschaffen, weil er sie als Fürbitter nicht theologisch verantworten konnte. Es gelang ihm aber nicht, den heiligen Nikolaus von Myra abzuschaffen, weil dieser wegen der Geschenke bei der Bevölkerung so beliebt war. Luther überlegte sich, wie er den Nikolaus loswerden konnte und nahm ihm das Schenken, indem er es auf Weihnachten übertrug. An Weihnachten wird den Christen nämlich der Erlöser geschenkt und dieses Schenken wird nachvollzogen durch das Beschenken der Kinder.
Martin Luther hat dazu noch eine Geschenkfigur erfunden, nämlich den Heiligen Christ. Er hat ihn aber in keiner Weise beschrieben. Wir wissen weder, ob die Figur männlich, weiblich, jung oder alt ist. Und die Menschen haben aus dem Heiligen Christ schließlich das Christkind gemacht - und so bringt das Christkind heute zu Weihnachten die Geschenke. Zur Wende um das 19. Jahrhundert haben die Katholiken das Brauchtum von den Protestanten dann übernommen.
epd: Das Schenken ist also etwas Christliches?
Becker-Huberti: Das Schenken ist insofern etwas Christliches, als dass man sein Gegenüber so behandeln muss wie man selbst behandelt werden möchte. Schenken ist Zuwendung, es ist etwas, was auch in der deutschen Sprache schon im Wort enthalten ist. Wenn ich "ausschenke" muss ich den Krug neigen, damit die Flüssigkeit überhaupt ins Glas fließen kann.
Diese Art von Zuneigung ist gemeint mit dem Schenken: Ich schenke eben nicht einfach nur Materielles, sondern indem ich schenke, wende ich mich einem Menschen zu und bin empathisch. Ich bin also für mein Gegenüber da. In diesem Sinne ist Schenken ein Akt der Nächstenliebe - solange es nicht zu einem Austausch von rein Materiellem zur Erhöhung von Besitzstand verkommt. Das ist mit dem christlichen Schenken nicht gemeint.
epd: Hat sich das Schenken zu Weihnachten im Laufe der Zeit also zu etwas Schlechtem verändert?
Becker-Huberti: Das Schenken hat einen Beigeschmack bekommen, da es heute etwas mit Werterhöhung, Ausstattung und Anspruch zu tun hat. Früher bekamen Kinder eine reparierte Puppe oder einen Teddy geschenkt - und damit war es gut. So ist es heute nicht mehr: Es wird inzwischen nach Geschenkzettel geschenkt, das heißt, es wird vorab genau gesagt, was man als Geschenk bekommen will.
Und das Gewünschte ist meist auf dem Markt zuhause: Das heißt, es gibt bestimmte Geschenke, die üblich sind und die man haben muss - zum Beispiel ein Smartphone oder Tablet. Es gibt einen sozialen Druck bei dem Niveau der Geschenke und das hat mit dem ursprünglichen Verständnis des Schenkens nichts mehr zutun.
epd: Worauf sollten wir uns stattdessen beim Schenken wieder konzentrieren?
Becker-Huberti: Ein Geschenk sollte etwas sein, was dem Gegenüber nützt und was er gebrauchen kann. Da ist das Schenken von Zeit viel bedeutsamer als das Schenken von Elektronik. Wir sollten versuchen, das Schenken wieder zurückzufahren statt den materiellen Wert der Geschenke weiter zu erhöhen. Wir sollten wieder den symbolischen Wert eines Geschenks schätzen lernen.
Das Interview führte Patricia Averesch.