DOMRADIO.DE: Die Hunde lernen bei Ihnen alles, was sie für den Alltag mit einer blinden Person brauchen – zum Beispiel auch Laut zu geben. Wozu ist das nützlich?
Franziska Voß (Hundetrainerin beim Dog’s Coaching Center in Krefeld): Das macht Sinn, wenn die Menschen zum Beispiel unterwegs sind und Hilfe suchen. Gerade sehbehinderte Personen möchten nicht irgendwo in der Mitte stehen und herumwinken. Und so kann der Hund darauf aufmerksam machen und damit sagen „Wir brauchen Hilfe!“
DOMRADIO.DE: So ein Blindenführhund muss eine Menge können, da steckt eine jahrelange Ausbildung dahinter. Was muss so ein Hund alles können?
Voß: Dazu gehört der klassische Grundgehorsam, also „Sitz“, „Platz“, „Bei Fuß“ – alles, was Familienhunde theoretisch auch können sollten, damit sie alltagstauglich sind. Viel wichtiger für die sehbehinderten Personen sind aber natürlich die Suchaufgaben. Das heißt das Finden von Ein- und Ausgängen und Sitzgelegenheiten. Die Hunde lernen auch das Verfolgen von Personen, wenn man sich beispielsweise in einem Kaufhaus befindet und etwas sucht.
Viel wichtiger ist allerdings auch das Verweigern des Verkehrs. Wenn der Hund also beispielsweise über die Straße gehen soll und ein Auto angefahren kommt, muss der Hund sagen „Nein, wir gehen nicht über die Straße, es wird gefährlich.“
DOMRADIO.DE: Nicht jeder Hund kann Blindenhund werden, oder?
Voß: Ganz genau. Als Blindenführhund nimmt man gerne entspannte und ruhige Hunde. Und Hunde, die sehr lernwillig sind, das nennt man „Will to please“ – der Hund möchte unbedingt dem Menschen gefallen und etwas dafür tun. Mein eigener Hund bringt beispielsweise viele tolle Charaktereigenschaften mit, ist aber grundnervös. Und das macht die Ausbildung dann schon anstrengend.
DOMRADIO.DE: Sie haben schon gesagt, dass der Hund einige Dinge können muss, die alle über Befehle laufen. Wie lauten die zum Beispiel?
Voß: Zum Beispiel „Such Bank“, „Such Ausgang“ oder „Such Schalter“. „Geschirr anziehen“ lernen die Hunde bei mir auch. Und „Voran“, damit er überhaupt losläuft. Das sind die Klassiker.
DOMRADIO.DE: Für den Hund ist es ja in gewisser Weise Arbeitszeit, wenn er mit dem blinden Menschen unterwegs ist. Das heißt, er braucht dann auch einen Ausgleich, oder?
Voß: Ja, das ist ganz wichtig zu differenzieren. Wenn der Hund im Geschirr ist, ist es für ihn Arbeit. Wenn er das Geschirr nicht trägt und nur die Kenndecke mit einer Leine, dann ist er ein ganz normaler Hund wie jeder andere auch. Dann muss er nicht aufpassen, dann muss er nicht führen, dann braucht er seinen Ausgleich. Er darf dann auch frei laufen und mit anderen Hunden spielen.
DOMRADIO.DE: Wenn ein Mensch auf einmal sein Vertrauen in einen Hund legt, der ihn zum Beispiel sicher durch die Stadt führen soll, ist das ein ziemlich großer Schritt. Da muss der Hundeführer sich sicher auch erst dran gewöhnen, oder?
Voß: Ja, auf jeden Fall. Da kann ich nur aus eigener Erfahrung sagen, dass ich die Hunde zum Ende hin immer blind laufe. Ich trage dann eine Dunkelbrille und lasse mich selbst führen. Selbst, wenn man weiß, was der Hund alles zuverlässig kann, ist es doch nochmal ein großer Schritt, zu sagen „Ich lege jetzt mein Leben in sein Führgeschirr und wir bekommen das zusammen hin.“
DOMRADIO.DE: Das heißt, im Rahmen der Ausbildung werden Hund und Mensch zusammengeführt an einer Stelle?
Voß: Genau, das nennt sich Einarbeit und findet am Ende der Ausbildung statt. Dann wird dem Herrn oder der Dame erklärt, wie der Hund „funktioniert“, wie das Zusammenleben aussieht und dann wird das Team aufeinander eingestimmt.
DOMRADIO.DE: Wie läuft die Ausbildung insgesamt ab?
Voß: Man kauft den Hund als erstes an, also entweder einen Welpen mit ungefähr 8 Wochen oder einen Hund, der schon ungefähr ein Jahr alt ist. Vorher kann er nicht in die Ausbildung gehen. Dann durchläuft der Hund einen gesundheitlichen Check. Die Hüfte und die Gelenke müssen in Ordnung sein, es darf sonst nichts auffällig sein und das Verhalten muss passen.
Dann beginnt man mit den Grundlagen. Er lernt in den ersten Schritten, geradeaus zu laufen und das Geschirr überhaupt zu akzeptieren und gut zu finden. Dann hampelt man sich Stück für Stück fort. Der Hund lernt Ampeln und Bordsteine anzuzeigen und so weiter.
DOMRADIO.DE: Kann es auch sein, dass Sie in der Ausbildung feststellen, dass ein Hund doch nicht geeignet ist?
Voß: Der letzte Kandidat war tatsächlich bis zuletzt gut geeignet. Leider gab es in der Prüfung einen kleinen Unfall. In der Straßenbahn ist ein Herr auf den Hund gefallen. Damit ist der Hund jetzt leider außer Dienst, weil er nicht mehr gerne Straßenbahn fährt.
DOMRADIO.DE: Sie haben gesagt, der Hund will dem Menschen gefallen. Ist das ein Grund, warum man Hunde für diese Aufgabe nimmt oder könnte man auch ein anders Tier nehmen?
Voß: Man könnte andere Tiere nehmen – es werden tatsächlich auch Ponys dafür ausgebildet. Aber ich weiß nicht, in welchen Ländern das so ist.
DOMRADIO.DE: Wir Deutschen beziehen uns da größtenteils auf Labradore und Schäferhunde?
Voß: Es gibt auch viele weitere Rassen, die gerne genommen werden. Den Schäferhund würde ich gar nicht mal prädestinieren, weil diese Hunde sehr wachsam sind. Das ist eine Eigenschaft, die man nicht gerne sieht. Labradore fressen gerne, genauso wie auch Golden Retriever. Alles, was auf Leckerchen steht, ist super für die Arbeit.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.