Über eines der langsamsten Konzerte der Welt

"Eine sehr, sehr lange Aufführung"

1985 schrieb der Komponist John Cage das Orgelstück "Organ2/ASLSP". Es soll so langsam wie möglich gespielt werden. Die John-Cage-Orgelstiftung in Halberstadt hat sich ein ehrgeiziges Ziel gesetzt: Das Musikstück soll 639 Jahre aufgeführt werden.

Mann an einer Orgel / © Gone with the wind (shutterstock)
Mann an einer Orgel / © Gone with the wind ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Welche Absicht hat John Cage denn verfolgt mit dieser Komposition?

Rainer Neugebauer (Kuratoriumsvorsitzender der John-Cage-Orgelstiftung in Halberstadt, Sachsen-Anhalt): Ich denke, es ging ihm darum, einen Parameter in der Musik, nämlich die Dauer, mal ein bisschen auszureizen. Die Langsamkeit führt zur Genauigkeit des Zuhörens und führt dazu, dass man auf kleinste Veränderungen auch sensibel reagiert. Ich glaube, das war auch ein Anliegen von John Cage.

DOMRADIO.DE: Das Stück wurde damals in 29 Minuten uraufgeführt. Das ist natürlich eine ganz andere Dimension als 639 Jahre lang. Wer ist denn auf die verrückte Idee gekommen, dass nicht einfach sehr langsam zu spielen, sondern über einen so langen Zeitraum? War dass der Komponist selbst?

Neugebauer: Nein, das war nicht der Komponist. sondern das ist bei einem Kongress 1998 entstanden. Ursprünglich war das Stück für Klavier geschrieben, und auf einem Klavier kann man nicht langsamer spielen, als bis die Saiten verklingen. Dann muss man Pausen machen. Bei diesem neu geschriebenen Stück für die Orgel kam die Frage auf:

Was heißt "so langsam wie möglich" bei der Orgel? Da die Orgel ja ein Aerophon, also eine Art Blasinstrument ist, kann man das Stück - wenn der Motor kontinuierlich läuft - sehr lange spielen. Und da entstand die Idee einer sehr, sehr langen Aufführung dieses Stückes.

DOMRADIO.DE: John Cage ist schon seit 28 Jahren tot. Das Projekt, das startete an dem Tag, an dem der Komponist 88 Jahre alt geworden wäre. Das war am 5. September 2000. Die Aufführung des Stücks begann dann genau ein Jahr danach. Aber wie klingt das denn? Es klingt ja nicht nur tagelang, sondern wochen- oder monatelang nur ein einziger Klang.

Neugebauer: Wir haben im Moment ein ganz tolles Experiment, nämlich einen Fünfklang - zwei Basstöne und drei höhere Töne - die seit 2013, seit dem 5. Oktober, ununterbrochen erklingen. Wenn man nun in die Kirche kommt, hört man, dass es kein elektronisch erzeugter Dauerton ist, sondern man hört unheimlich viele Schwingungen, je nachdem, wo man in der Kirche ist.

DOMRADIO.DE: Das heißt, auch nachts tönt das weiter. Es wird keine Pause gemacht, wenn die Kirchentür nachts abgeschlossen wird?

Neugebauer: Das ist richtig. Wenn man nachts dort vorbeigeht und an der Tür lauscht, würde man es hören.

DOMRADIO.DE: Wie hält man das aus, dass da keine Melodie oder keinen Rhythmus erkennbar ist?

Neugebauer: Ja, ich glaube, das ist eines der Anliegen, die John Cage hatte: Menschen darauf aufmerksam zu machen, dass sie sich vielleicht auch nur mal einer Sache intensiv widmen und nicht sofort verlangen, dass sich wieder etwas ändert oder etwas Neues kommt oder es aufhören muss oder was auch immer. Da bedarf es eigentlich gar nicht dauernd einer Änderung.

DOMRADIO.DE: Was ist das denn für eine Orgel? Hält die überhaupt 639 Jahre lang?

Neugebauer: Wir hoffen das! Der Prospekt, den wir jetzt haben - also gewissermaßen das Gestell, wo die Pfeiffen drinstehen, wo die Windlade drin ist und so weiter - sind aus Eichenholz gebaut. Wir müssen ab und zu mal etwas warten und mal einen Motor austauschen - das schon. Aber im Prinzip gehen wir davon aus, dass das Material das doch ziemlich lange aushält. Wir haben jetzt zwei Pfeifen, die seit 2011 ununterbrochen erklingen, und die sind noch gut dabei.

DOMRADIO.DE: Wenn dann doch mal so ein Windmotor, ein Blasebalg, ausfällt - muss das Konzert dann unterbrochen werden oder muss das Stück wieder von vorne beginnen?

Neugebauer: Es gibt drei Möglichkeiten: Man kann sagen, das war's und hört ganz auf. Oder man sagt, das ist nicht so schlimm und macht weiter. Oder aber wir kommen auf die Idee und sagen: Ach, fangen wir nochmal von vorne an. Da haben wir schon ein bisschen Übung und können es noch ein bisschen länger machen.

Das Gespräch führte Dagmar Peters. 


Quelle:
DR