Am 13. Oktober bot Sachsens evangelischer Landesbischof Carsten Rentzing seinen Rücktritt an - bis heute stellen viele die Frage nach dem "Warum". Da Rentzing bis zuletzt Nachfragen scheute, verbreitete sich unter anderem eine Erklärung, die die Schuld vier Männern aus Leipzig zuwies: den Pfarrern Andreas Dohrn, Sebastian Keller und Frank Martin sowie dem Kirchvorsteher Matthias Rudolph.
Die vier hatten am 27. September eine Petition mit dem Titel "Nächstenliebe verlangt Klarheit" ins Netz gestellt. Darin verlangten sie von Rentzing eine Distanzierung "von allen nationalen, antidemokratischen und menschenfeindlichen Ideologien"; dazu eine Erklärung, warum der Bischof Mitglied einer pflichtschlagenden Studentenverbindung ist, was wenige Wochen zuvor publik geworden war.
"Bischöfsmörder, Inquisitoren"
Wegen der Petition haftete den vieren nach Rentzings Rücktritt bald das Etikett der "Bischofsmörder" an. In konservativen Medien war vom "Geruch des Inquisitorischen" die Rede, von "Doppelmoral" und "Heuchelei". In einem Beschluss der sächsischen Landessynode von Mitte November heißt es, "öffentliche Petitionen gegen Personen und Amtsträger" seien "kein Mittel zur Klärung von Sachfragen und beschädigen unsere Strukturen".
Rentzing selbst sprach in seiner Abschiedsrede vom "Angelhaken in meinem Leben": "Man hat gesucht, und schließlich hat man gefunden", erklärte er. Zudem müsse man klarstellen, dass diejenigen, die sich der Loyalität von Synodenwahlen und -beschlüssen verweigerten, "selbst aus der kirchlichen Gemeinschaft exkommunizieren". Auch im kirchlichen und persönlichen Umfeld gab es Anfeindungen gegen die Petenten.
Petition als ultima ratio?
Wie blicken sie heute auf das Geschehene? Fest steht: Es hat Wunden hinterlassen. Martin stellt zunächst klar, dass es vor der Petition zwei kircheninterne Versuche gegeben habe, Rentzing zur Positionierung zu bewegen. Erst nach deren Scheitern sei man in die Öffentlichkeit gegangen. Dohrn hält es für "führungs- und leitungstechnisch schwach", dass die Kirchenleitung bis heute nicht auf die vier zugegangen sei; auch, dass die Abschiedsrede Rentzings ohne Widerspruch stehenblieb.
Rudolph wird, angesprochen auf die Beschlüsse, noch heute emotional. Die Petition habe sich nicht gegen Personen gerichtet, schnaubt er: "Wir haben Fragen gestellt." Und Martin sagt: "Wenn wir so etwas nicht mehr machen dürfen, nämlich Eindeutigkeit verlangen gegen Nazis, dann haben wir das protestantische Kirchenverständnis glaube ich nur in Teilen verstanden. Wenn ich als Pfarrer irgendwo eine Pflicht habe, dann dort, wo menschenverachtend gesprochen wird, zu widersprechen".
Wunsch nach besserer Kommunikation
Dass Rentzing am Ende seine fehlende Bereitschaft, sich Fragen zu seiner Vergangenheit zu stellen, zu Fall brachte, sah auch bald die Kirchenleitung so. Zudem habe man "die Wirkmächtigkeit" von Rentzings 30 Jahre alten Texten unterschätzt, die das Landeskirchenamt am 13. Oktober als "demokratiefeindlich" einstufte, sagte Kirchenamts-Präsident Hans-Peter Vollbach bei einem Gesprächsabend Mitte Januar in Leipzig: "Da hätte man schneller sein müssen."
Für die Zukunft wünschen sich alle Beteiligten bessere Kommunikation. "Wenn wir Dinge sehen", erklärt Martin etwa mit Blick auf rechte Verflechtungen von Kirchenleuten, "dann muss es Ansprechpartner geben, von denen ich auch weiß, dass sie reagieren und etwas transparent machen." Der Bischofs-Stellvertreter Thilo Daniel erklärte bei dem Abend in Leipzig, es sei "wichtig, dass möglichst viele die Möglichkeit haben, sich in diese Gespräche einzubringen".
"Grenze zwischen konservativ und rechtsextremistisch"
Die Synode traf im November auch den Beschluss, eine Unterscheidung "von wertkonservativem Christsein und Rechtsextremismus zu erarbeiten. Eine Arbeitsgruppe wurde eingesetzt. "Es geht um eine Grenzziehung, und die will ich auch haben", erklärt Rudolph. Für Dohrn geht die Frage indes an der Realität vorbei. Wichtiger wäre aus seiner Sicht, sich mit einer neuen Gruppe religiöser Rechter zu beschäftigen, "die sich genau in der Mitte dieser beiden Pole positioniert und ganz bewusst Kanäle in beide Richtungen aufmacht".
Für Martin ist derweil "eine evangelische Grundhaltung" zentral: "Abwertung von Menschen, Rassismus, Nationalismus, Patriotismus, Sexismus finde ich im Evangelium nicht", erklärt er. Die Kirche müsse daher klären, wofür sie zur Verfügung stehe und wofür nicht. Für nötig hält er auch einen Unvereinbarkeitsbeschluss von AfD-Mitgliedschaft und kirchlichen Ämtern. Zunächst aber wählt die Synode in drei Wochen einen neuen Bischof oder eine neue Bischöfin. Fest steht schon jetzt: Es gibt viel zu tun.