Das Medieninteresse an Pius XII. scheint fast so groß wie das vor einem Jahr beim vatikanischen Krisengipfel gegen Missbrauch in der Kirche. Das gilt für den gut gefüllten Pressesaal am Donnerstag wie für das randvolle Auditorium des Augustianum am Freitag. Die Figur Pius' XII. (1939-1958) und die jahrzehntelange Kontroverse um seine Person bieten genügend Reiz.
Auch Vertreter etlicher Botschaften beim Heiligen Stuhl sind gekommen, als Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin den Kongress zu den Vatikan-Archiven eröffnet. Der zweite Mann des Vatikan beschränkt sich vor allem auf Dankesworte für die gut ein Jahrzehnt währende Arbeit der Archivmitarbeiter. Er bittet um Verständnis, dass es so lange dauerte - wegen des umfangreichen Materials.
Der Spross römischer Aristokratie
Beispiele dafür bieten die Mitarbeiter der insgesamt acht Archive genügend: bislang 1,3 Millionen digitalisierte Dokumente allein in der zweiten Sektion des Staatssekretariats, mehr als 60 Regalmeter in der Glaubenskongregation zu Anfragen wegen der Gültigkeit von Ehen oder "12.200 Fotos in einigen hundert Umschlägen" zu einer von vier Hilfsinitiativen für Flüchtlinge und Vertriebene.
Erste Aufgabe eines Geschichtsforschers sei es "zu verstehen"; danach gehe es um Deutung und Bewertung. Diese Mahnung übernimmt Paolo Vian, Vizepräfekt des Apostolischen Archivs, vom französischen Historiker Marc Bloch. Einer jüdischen Familie im Elsass entstammend, war Bloch 1944 als Resistance-Kämpfer in Frankreich von Deutschen erschossen worden.
Nicht nur mit diesem mehrfach zitierten Historiker wurde einer der "schmerzhaften Aspekte des Pontifikats von Eugenio Pacelli" angesprochen. Vian wie auch Giovanni Coco vom Apostolischen Archiv wiesen darauf hin, wie wichtig es sei, Pacellis Erfahrungen als Nuntius in Berlin sowie als Staatssekretär unter Pius XI. zu kennen. Nur dann könne man verstehen, wie der Spross römischer Aristokratie mit Blick auf Faschismus und Nationalsozialismus in Italien und Deutschland gedacht und gehandelt habe.
Das Verhältnis zu den Deutschen
Für den flämischen Historiker und Archivar der zweiten Sektion des Staatssekretariats, Johan Ickx, war der "Moffenpapst", wie Pius XII. in Ickx' Heimat abfällig genannt wurde, während beider Weltkriege jeweils "an entscheidender Stelle der Kirche" tätig. Unter Benedikt XV. (1914-1922) war Pacelli im Ersten Weltkrieg vatikanischer "Außenminister". Sechs Monate vor Beginn des Zweiten wurde er zum Papst gewählt - an seinem 63. Geburtstag, dem 2. März 1939.
"Eine der Fragen, die mich sehr interessieren, ist Pacellis Verhältnis zu den Deutschen", sagt auch Suzanne Brown-Fleming vom Holocaust-Gedenkmuseum der Vereinigten Staaten (USHMM). Mit zwei Kollegen ist auch sie nach Rom gekommen. Ihr Kollege Anatol Steck setzt auf gute Kooperation mit den Archivaren: "Wir sind abhängig von ihrer Arbeit, aber sie auch von unserer."
Eine wesentliche Aufgabe des Holocaust-Museums in Washington und seiner Ableger ist es, historische Quellen zu sammeln und zugänglich zu machen. So erwartet Steck vom Vatikan, im Laufe der nächsten Jahre Kopien, Duplikate, Scans jener Dokumente zu erhalten, die mit dem Holocaust zu tun haben. Damit könne das USHMM so etwas wie eine Außenstelle der Vatikanarchive werden.
Erste vernünftige Ergebnisse
Papst und Kurie dürften während des Zweiten Weltkriegs in der Tat recht umfassend informiert gewesen sein. Warum sonst hätten in Rom tätige Ordensleute vieler Nationen die Aufgabe gehabt, Tag und Nacht Radiosender weltweit zu hören und Abschriften der Nachrichten zu machen. Da biete sich den Forschern ebenfalls reichhaltige Lektüre, kündigte Ickx an.
Um sich in den Unmengen von Material nicht zu verirren, bietet sich Assunto Scotti am Ende als "leitender Schutzengel" an und erläutert die Rubrizierung in der Allgemeinen Sektion des Staatssekretariats. Die Rubriken 33 bis 72 etwa betreffen Kurienbehörden; 360 Rubriken gibt es insgesamt.
Seinen Parforce-Ritt durch die Archivsystematik beschließt Scotti mit dem Hinweis, seit dem 1. März 2013 gebe es eine gänzlich neue Rubrik: "Papst emeritus Benedikt XVI.". Bis zur Öffnung dieses Archivs vergehen noch Jahrzehnte. Und bis zu den ersten vernünftigen Ergebnissen des Pius-Pontifikats dauert es zwei bis drei Jahre, so die einhellige Meinung von Experten.