Kirchenvertreter kritisieren Karlsruher Urteil zur Suizidbeihilfe

Einschnitt in unsere Kultur

Die beiden großen Kirchen in Deutschland haben das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Suizidbeihilfe scharf kritisiert. "Dieses Urteil stellt einen Einschnitt in unsere auf Bejahung und Förderung des Lebens ausgerichtete Kultur dar".

Patientin hält Karten mit Heiligenbildern in ihrer Hand / © Corinne Simon (KNA)
Patientin hält Karten mit Heiligenbildern in ihrer Hand / © Corinne Simon ( KNA )

Das erklärten die Deutsche Bischofskonferenz und der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) am Mittwoch in Bonn und Hannover. Die Kirchen wollten sich weiter dafür einsetzen, dass "organisierte Angebote der Selbsttötung in unserem Land nicht zur akzeptierten Normalität werden".

"Wir befürchten, dass die Zulassung organisierter Angebote der Selbsttötung alte oder kranke Menschen auf subtile Weise unter Druck setzen kann, von derartigen Angeboten Gebrauch zu machen", so der Konferenzvorsitzende, Kardinal Reinhard Marx, und der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm in der gemeinsamen Erklärung.

Große Gefahr

"Je selbstverständlicher und zugänglicher Optionen der Hilfe zur Selbsttötung nämlich werden, desto größer ist die Gefahr, dass sich Menschen in einer extrem belastenden Lebenssituation innerlich oder äußerlich unter Druck gesetzt sehen, von einer derartigen Option Gebrauch zu machen und ihrem Leben selbst ein Ende zu bereiten."

Aus Sicht der Kirchen entscheiden sich an der Weise des Umgangs mit Krankheit und Tod grundlegende Fragen des Menschseins und des ethischen Fundaments der Gesellschaft. "Die Würde und der Wert eines Menschen dürfen sich nicht nach seiner Leistungsfähigkeit, seinem Nutzen für andere, seiner Gesundheit oder seinem Alter bemessen. Sie sind Ausdruck davon, dass Gott den Menschen nach seinem Bild geschaffen hat und ihn bejaht und dass der Mensch sein Leben vor Gott verantwortet."

Jüsten: Urteil zur Sterbehilfe ist eine Zäsur

Der Leiter des Katholischen Büros, Karl Jüsten, spricht mit Blick auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Sterbehilfe von einer Zäsur. Bisher habe die Kirche immer davon ausgehen können, dass das menschliche Leben in all seinen Phasen unter dem besonderen Schutz des Staates und seiner Gesetze stand, sagte Jüsten in einem Interview des Portals katholisch.de am Mittwoch in Berlin. "Durch den Karlsruher Urteilsspruch ist diese Gewissheit erschüttert worden", sagte er.

Weiter betonte er, wenn es professionellen Organisationen künftig in Deutschland erlaubt sei, Menschen geschäftsmäßig beim Suizid zu begleiten, bringe dies das "hohe gesetzliche Schutzniveau für das menschliche Leben" ins Wanken bringt. Er habe sich noch vor einigen Jahren nie vorstellen können, dass deutsche Richter jemals zu einem solchen Urteil kommen könnten, so Jüsten. "Nehmen Sie nur die Aussage der Richter, dass der Entschluss zur Selbsttötung wie keine andere Entscheidung die Identität und Individualität des Menschen berühre."

Bischof Fürst: Urteil erhöht Druck auf Schwerkranke

Der Rottenburg-Stuttgarter Bischof Dr. Gebhard Fürst bedauert ebenfalls die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes, die geschäftsmäßige Sterbehilfe unter bestimmten Umständen zu erlauben. Als Vorsitzender der Unterkommission Bioethik der Deutschen Bischofskonferenz hatte sich Fürst im Vorfeld dafür ausgesprochen, den Paragrafen 217 im Strafgesetzbuch, der seit Dezember 2015 geschäftsmäßige Sterbehilfe verbietet, zu belassen.

Die Karlsruher Richter erklärten ihn aber für nichtig, weil er "die Möglichkeiten einer assistierten Selbsttötung faktisch weitgehend" entleere".

Für den Bischof von Rottenburg-Stuttgart erhöht das jetzige Urteil hingegen "den inneren und äußeren Druck auf Alte, Schwerkranke und Pflegebedürftige, von der Option der geschäftsmäßigen Sterbehilfe Gebrauch zu machen, um keine Last für die Angehörigen zu sein".

Einen Abschied in Würde zu ermöglichen, bedeute aus christlicher Sicht, dass der Sterbende an der Hand eines Menschen sterbe – und nicht durch sie. Gerade in seinem letzten Lebensabschnitt brauche der Mensch vor allem Zuwendung, Schutz und Trost.

Bischof Overbeck: "Sterbehilfe kann kein Geschäftsmodell sein"

Auch Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck betonte: "Sterbehilfe kann kein Geschäftsmodell sein." Er habe die Sorge, dass alte und schwache Menschen nun "glauben, sie seien eine Last", sagte Overbeck dem epd am Rande des Sozialpolischen Aschermittwochs der Kirchen in Essen. "Jeder Mensch hat ein Recht auf einen würdevollen Tod, aber der Zeitpunkt wird von Gott bestimmt."

Bischof Losinger: Sterbehilfeurteil könnte Menschen Druck machen

Auch der Augsburger Weihbischof und Ethik-Experte Anton Losinger hat das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Suizidbeihilfe bedauert. Er sehe die Gefahr, dass nun auf Menschen in prekären Lebenssituationen der Druck ausgeübt werden könnte, organisierte Suizidhilfe in Anspruch zu nehmen, erklärte Losinger auf der Internetseite des Bistums Augsburg: "Wer hat nicht schon einmal den Satz von einem alten oder kranken Menschen gehört, dass er niemandem zur Last fallen wolle?" Losinger forderte, weiter für einen lebensbejahenden Weg zu werben und entsprechende gesetzliche Verbesserungen anzustreben.

Losinger erinnerte, dass die Politiker 2015 versucht hätten, mit dieser Regelung ein "suizidfreundliches Umfeld" zu verhindern. Den mit überparteilicher Mehrheit gefundenen Kompromiss habe er für einen klugen Weg der Mitte gehalten. Die Begleitung schwerstkranker und sterbender Menschen sei in den Mittelpunkt gestellt worden, verbunden mit dem Ziel, Palliativmedizin und Hospizwesen zu fördern. "Damit hatte man ein starkes Signal gesetzt, dass wir eine Gesellschaft sein wollen, die Suizid zwar nicht ausschließt", so Losinger, "ihn aber nicht als eine quasi normale Option neben solidarischer Hilfe und medizinischer Unterstützung sieht."

In der Schweiz, den Niederlanden oder Belgien zeige sich, dass dort, wo die Tür zur organisierten Sterbehilfe aufgestoßen werde, eine stete Entwicklung zur Inanspruchnahme solcher Angebote zu verzeichnen sei, sagte der Bischof. Mit Blick auf betroffene Minderjährige, Demenzkranke oder einfach nur alte Menschen sprach er von "problematischen Auswüchsen".

Losinger fügte an, wenn man Menschen in ihrem Sterbewunsch ernst nehme und mit ihnen spreche, höre man sehr oft, dass es ihnen nicht darum gehe, nicht mehr zu leben - sondern darum, nicht mehr so zu leben, wie es eine Krankheit mit sich bringen könne. An dieser Stelle gelte es mit "unseren Hilfsangeboten" anzusetzen, insbesondere in der Palliativmedizin und bei den Hospizen.


Kardinal Reinhard Marx (l.) und Heinrich Bedford-Strohm / © Harald Oppitz (KNA)
Kardinal Reinhard Marx (l.) und Heinrich Bedford-Strohm / © Harald Oppitz ( KNA )

Prälat Karl Jüsten, Leiter des Kommissariats der deutschen Bischöfe / © Michael Jungblut (KNA)
Prälat Karl Jüsten, Leiter des Kommissariats der deutschen Bischöfe / © Michael Jungblut ( KNA )

Gebhard Fürst, Bischof von Rottenburg-Stuttgart / © Julia Steinbrecht (KNA)
Gebhard Fürst, Bischof von Rottenburg-Stuttgart / © Julia Steinbrecht ( KNA )

Franz-Josef Overbeck, Bischof von Essen / © Lars Berg (KNA)
Franz-Josef Overbeck, Bischof von Essen / © Lars Berg ( KNA )

Weihbischof Anton Losinger / © Harald Oppitz (KNA)
Weihbischof Anton Losinger / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
KNA , epd
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