DOMRADIO.DE: Sie haben sich in den vergangenen Wochen 31 Filme angesehen. Wie geht es Ihnen nach diesem Film-Marathon?
Alexander Bothe (Referent für medienpolitische Grundsatzfragen und Film, Bereich Kirche und Gesellschaft der Deutsche Bischofskonferenz, Mitglied der Ökumenischen Jury auf der Berlinale): Einerseits unfassbar erfüllt, andererseits aber auch müde, muss ich ehrlich zugeben. Das war ein Marathon, aber auch ein faszinierender.
DOMRADIO.DE: Schauen Sie als Mitglied der Ökumenischen Jury nur Filme, in denen es um Glauben und Kirche geht?
Bothe: Nein, wir haben tatsächlich drei Kategorien gesichtet. Wir haben zum einen den kompletten Wettbewerb gesichtet, also wirklich die ganze Bandbreite, die auch die Haupt-Jury gesichtet hat. Zum anderen aber eben auch zwei sogenannte Sektionen: das ist einmal das "Forum", also Filme in Richtung ungewöhnliches Format, die existenziell neu ausprobieren, was Kino eigentlich möglich machen kann. Und zum anderen die Sektion "Panorama", die tatsächlich Richtung gesellschaftlicher Fragen geht und die politische Aspekte in den Blick nimmt.
DOMRADIO.DE: Den Goldenen Bären hat ein Film bekommen, den auch die Ökumenische Jury ausgewählt hat - der Film "Es gibt kein Böses" ("There Is No Evil") des iranischen Regisseurs Mohammad Rasoulof. Zufall oder nicht?
Bothe: Tatsächlich war das absoluter Zufall. Bei uns ist es ja so, dass wir als sogenannte Independent-Jury am Samstag Nachmittag schon die Preisverleihung hatten und dann natürlich riesig gespannt waren, was am Abend passieren wird, wenn die Bären verliehen werden. Und als dann der Goldene Bär an genau diesen Film ging, haben wir uns einfach riesig gefreut. Wir glauben, dass es ein toller Film ist und freuen uns, dass es die Hauptjury genauso gesehen hat.
DOMRADIO.DE: Was macht den Film so sehenswert?
Bothe: Der Film kommt ja aus dem Iran. Und alleine die Entstehungsumstände zu betrachten, zeigt schon, dass es um etwas Besonderes geht. Der Regisseur Rasoulof selber war gar nicht in Berlin, denn er darf nicht reisen. Er durfte auch diesen Film nicht machen. Die Crew hat sich ein bisschen in Schweigen gehüllt, wie das dann überhaupt möglich war. Seine Tochter war da und hat die Preise entgegengenommen.
Für uns als Ökumenische Jury war der Film deswegen bedeutsam, weil es tatsächlich um die Frage von Gewissen und um Menschenwürde geht - und das unter den Zeichen eines totalitären Systems, immer verbunden mit der Frage: Wie geht es dir persönlich? Wann sagst du ja oder nein? Wo leistest du Widerstand und welche Folgen kannst du überhaupt verkraften? Das hat uns so sehr bewegt wie offensichtlich die andere Jury auch.
DOMRADIO.DE: Die Ökumenische Jury hat vier Filme prämiert. Wie sind Sie denn bei der Bewertung vorgegangen? Ist es schwierig, sich als Jury zu einigen?
Bothe: Ja, natürlich. Es gibt heiße Diskussionen. Wir sind ja eine internationale Jury. Wir hatten einen Filmkritiker aus Togo dabei, eine Schweizer Pfarrerin, einen Filmkritiker aus den USA. Wir sind also ganz, ganz bunt gemischt. Schon alleine das sorgt dafür, dass es natürlich über die Konfessionen und über die Sprachgrenzen hinweg wilde Diskussionen gibt.
Natürlich ist es immer wieder hilfreich, sich darauf zu besinnen: Worum geht es uns eigentlich als Jury, die den ökumenischen Blick einbringen möchte? Es geht natürlich auch darum, zu gucken: Sind die Filme formal-ästhetisch ansprechend? Aber es geht auch inhaltlich darum: Werden Sinnfragen in den Blick genommen? Geht es um das, was uns als Menschen ausmacht, um die anthropologischen Grundfragen, die menschlichen Sehnsüchte oder tatsächlich auch um die Perspektive des Evangeliums?
Manchmal liegt ein bisschen der Verdacht nahe, dass wir "Dreifaltigkeits-Bingo" spielen: Ein Strich bei Gottvater, drei bei Jesus, zwei beim Heiligen Geist und dann vielleicht fünf, weil der Papst vorkommt. Genau so ist es aber nicht. Wir begegnen als Jury auch viel Wertschätzung und kommen gerne ins Gespräch mit dem Film-Schaffenden. Das macht viel Freude, diese intensiven inneren Diskussionen auch nach außen zu tragen.
DOMRADIO.DE: Die christlichen Kirchen haben gesellschaftlich immer weniger Stellenwert. Drückt sich das auch in Filmen aus, oder ist es trotzdem ein Thema, was den Menschen ein Bedürfnis ist?
Bothe: Einerseits sind die wirklich existenziellen Fragen immer dieselben - und das meine ich positiv. Es bleiben natürlich die Fragen: Was mache ich eigentlich mit meinem Leben? Wie gehe ich mit Scheitern, mit Niederlagen um? Wie erreiche ich Heil? Wie gewinne ich einen Zugang zu meinen eigenen Sehnsüchten? Wer rettet mich? Welchen Weg will ich gehen? Und natürlich bleibt unsere Botschaft nach wie vor eine relevante.
Es gibt auch immer wieder explizit Filme, die sich mit Geschichten aus der Bibel, mit Aspekten des Lebens oder des Leidenswegs Jesu auseinandersetzen. Das haben wir in den letzten Jahren ja auch öfter erlebt. Das bleibt schon relevant. Auf der anderen Seite stellt sich natürlich immer wieder mal die Frage: Wie seid ihr gerade als Kirchen unterwegs? Und da entwickelt sich sicherlich die Perspektive etwas weiter, als das vielleicht früher war, weil wir einfach in einer globaleren Welt leben.
Das Interview führte Dagmar Peters.