Im Libanon hoffen zwei Millionen Flüchtlinge auf die Zukunft

"Sterben ist besser als leben ohne Würde"

Während sich Tausende vor der griechischen Grenze stauen, leben im Libanon zwei Millionen Flüchtlinge aus Syrien und Palästina. Sie leiden besonders unter der desolaten Lage im Land. Doch es gibt auch engagierte Helfer.

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Von Marion Krüger-Hundrup
Syrisches Flüchtlingslager im Libanon / © Marwan Naamani (dpa)
Syrisches Flüchtlingslager im Libanon / © Marwan Naamani ( dpa )

Seine Gesichtszüge hellen sich etwas auf, als er seine jüngste Tochter in den Arm nimmt. Das Mädchen schmiegt sich an den Mann, der in seinen verzweifelten Momenten sagt: "Sterben ist besser als leben ohne Würde." Abd el-Karim nippt an dem heißen Mokka, der in der feucht-kühlen Witterung ein wenig Wärme spendet. Der 52-jährige Muslim, der vor sieben Jahren mit seinen beiden Frauen und 18 Kindern aus seiner syrischen Heimatstadt Idlib in den Libanon floh, ist sicher: "Eine Rückkehr nach Syrien ist unmöglich." So bleibt dem hageren Mann bisher nur ein notdürftiges Zelt als Zuhause. Den Gedanken an eine Weiterreise nach Europa weist er von sich. Er will erst einmal im Libanon bleiben.

Armselige Situation

Abd el-Karim ist der Sprecher des Lagers für syrische Flüchtlinge beim Dorf Anout in der Nähe von Sidon. 80 Personen leben hier. Der Besitzer dieses Fleckchens Land voller Verschläge verdient sich eine goldene Nase an ihnen. Pro Zelt und Familie verlangt er umgerechnet 50 Euro im Monat. Eine Summe, die die Männer als Tagelöhner verdienen müssen, besser: verdienen müssten. Denn erst ab Mai werden sie auf den Feldern gebraucht. Als billige Arbeitskräfte ohne jede soziale Absicherung. Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) leistet nur Zahlungen für Nahrungsmittel. Nichts für Medikamente, Ärzte, den Schulbesuch der Kinder.

"Niemand will uns"

"Wir sind alle verschuldet", sagt Abd el-Karim. Und seit Oktober 2019, als die Massenproteste gegen die libanesische Regierung begonnen haben, sei die Lage für Flüchtlinge noch schlechter geworden. "Niemand will uns."

Abdo Raad hört aufmerksam zu. Immer wieder besucht der melkitische griechisch-katholische Priester der Diözese Sidon das Lager. Heute verspricht er Abd el-Karim, mit dem Landeigentümer zu verhandeln, damit er die Miete senkt. Abdo Raad verspricht auch, die Zahlung für einen Monat zu übernehmen. "Ich sehe in den Flüchtlingen Christus, nicht Christen oder Muslime. Hier zählt erst einmal der Mensch, nicht seine Religion", so der Priester.

Hilfe in Not

Dabei ist Anout nicht der einzige Brennpunkt, den Abdo Raad besucht. Der 55-Jährige ist im ganzen Libanon aktiv. Vor einigen Jahren hat er den Verein "Annas Linnas" (Einer für den anderen) gegründet. Mit 30 Mitgliedern und weiteren Ehrenamtlichen unterhält der Priester etliche Projekte, besonders für Flüchtlinge. Er hilft aber auch in Not geratenen Libanesen. So wie dem haftentlassenen jungen Mann in Beirut: Ihm bezahlt der Verein, der aus aller Welt Spenden bekommt, ein Zimmer, damit er nicht mehr auf der Straße leben muss.

Gefühlt kennt jeder den drahtigen Abdo Raad. "Abouna!" ("unser Vater") wird er herzlich begrüßt, wo immer sein Weg hinführt. Sogar in die für Libanesen und erst recht für Ausländer No-Go-Area "Sabra et Shatila", das gefürchtete Lager für palästinensische Flüchtlinge im südlichen Beirut. Hier unterhält der Verein "Annas Linnas" mit Unterstützung einer italienischen Nichtregierungsorganisation ein Jugendzentrum.

Keine Rechte für palästinensische Flüchtlinge

Ahmad Abdullah al-Shawish leitet diese Einrichtung. Er berichtet von den etwa 50.000 Palästinensern im Viertel, die zu 60 Prozent arbeitslos seien und vom UNHCR kaum Hilfen zum Überleben erhielten. "Wir werden im Libanon nicht respektiert, haben keine Rechte, keine Würde, keinen Flüchtlingsstatus", beklagt Ahmad und nennt die Zahl von rund 500.000 palästinensischen Flüchtlingen, die seit der Staatsgründung Israels 1948 ins Land gekommen seien. Seit 2011 kamen 1,5 Millionen Syrer hinzu.

Damit hat der Libanon im Verhältnis zu seiner Bevölkerung von 4,5 Millionen Menschen die meisten Flüchtlinge weltweit aufgenommen. Eine explosive Gemengelage. Sie verschärft die ohnehin prekäre wirtschaftliche und finanzielle Situation im Land. Dem Libanon droht die Staatspleite, das Land ist massiv verschuldet. Seit Oktober protestieren Hunderttausende gegen Korruption, soziale und wirtschaftliche Probleme wie chronische Strom- und Wasserausfälle, gegen eine Arbeitslosigkeit von 50 Prozent.

Krise im Land weitet sich aus

Was zunächst als Demonstration gegen das Unvermögen der Regierung begann, die Krise zu beenden, weitete sich inzwischen zu Straßenschlachten gegen die gesamte politische Elite aus. Und gegen das nach religiösem Proporz zwischen Christen, Sunniten und Schiiten ausgerichtete System. Auch dem neuen Regierungschef Hassan Diab haftet das Etikett an, für die alte politische Machtelite zu stehen.

"Unser Coronavirus ist die Regierung, sie nimmt alles und gibt nichts", sagt Joelle, die im Info-Zelt der Demonstranten auf dem "Platz der Märtyrer" bei der Mohammed-al-Amin-Moschee in Beirut die Stellung hält. Der Priester Abdo Raad hat sich zu der 21-Jährigen gesellt. Joelle sprudelt los: "Wir wollen Bürgerrechte wie Ausbildung, Arbeit, Wohnungen, Wasser und Strom. Wir wollen eine Zivilregierung. Wir jungen Leute wollen frei leben."

Kindern Bildung ermöglichen

Von einem freien Leben in Gleichheit und Frieden mögen auch die 350 syrischen Flüchtlingskinder träumen, die die Schule "Haus der Liebe" in Nameeh, einem Vorort von Beirut, besuchen. Die Privatschule mit einem höheren Unterrichtsniveau als die staatlichen Schulen wird vom Verein "Annas Linnas" getragen. Doch Abdo Raad und Schuldirektor Elie Fadel, ein Libanese, plagen Sorgen. Nur noch 20 Prozent der Eltern können das notwendige Schulgeld aufbringen - geschuldet der derzeitigen Situation im Libanon. "Trotzdem wird kein Schüler hinausgeworfen", erklärt Fadel, der stolz auf seine Schülerinnen und Schüler ist, die mit Feuereifer lernen. So wie Mohamed al-Ali, der als Neunjähriger kam und gerade einmal seinen Namen schreiben konnte. "Jetzt ist er der beste Schüler und reif für die Universität", freut sich der Direktor.

Sozialer Sprengstoff

Abdo Raad besucht eine libanesische Familie. Der 64-jährige Fensterbauer Edgar ist Rentner ohne Rente - die gibt es nur für Beamte aus dem öffentlichen Dienst. Seine 30-jährige Tochter Elizar sucht mit abgeschlossenem Marketing-Studium verzweifelt einen Arbeitsplatz. Wenn ihre beiden Geschwister, die in Amerika und Deutschland arbeiten, die Familienangehörigen nicht finanziell unterstützen würden, müssten sie am Hungertuch nagen. Edgar weiß, wer an der misslichen Lage Schuld sein muss: "Viele Flüchtlinge haben unsere Arbeit zu einem viel geringeren Gehalt, die Chefs bevorzugen deshalb die Syrer." Die würden zwar gut arbeiten, wie Edgar einräumt. Aber es gebe im Libanon nicht genug Arbeit für alle. Aber das erfährt der Syrer Abd el-Karim auch am eigenen Leib...


Eine Frau mit Kindern unter einem Verschlag in einem Lager für syrische Flüchtlinge nahe Sidon im Libanon / © Marion Krüger-Hundrup (KNA)
Eine Frau mit Kindern unter einem Verschlag in einem Lager für syrische Flüchtlinge nahe Sidon im Libanon / © Marion Krüger-Hundrup ( KNA )
Quelle:
KNA
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