DOMRADIO.DE: Was würde das bedeuten, wenn das Coronavirus auf das Flüchtlingslager übergreifen würde?
Gernot Krauß (Griechenland-Referent bei Caritas International): Es sind dort sehr viele Menschen auf engstem Raum, unter schwierigsten hygienischen Situationen und Bedingungen. Das wäre in der Tat fatal, wenn das Virus auf die Camps überspringen würde, weil man dort einfach keine Separierung machen kann. Hier in Deutschland sieht man die Vorkehrungen am Arbeitsplatz oder in Restaurants, wo überall Abstand eingehalten wird. So eine Separierung ist in so einer Situation, wie sie dort vorherrscht, überhaupt nicht denkbar. Das ist ein erhebliches Risiko, wenn das Coronavirus auf die Lager übergreifen würde.
DOMRADIO.DE: Das Lager Moria auf Lesbos ist eigentlich für knapp 3.000 Menschen ausgelegt. Mehr als 19.000 Menschen leben dort. Das kann man sich kaum vorstellen. Wie ist die Lage aktuell?
Krauß: Das Ganze ist wirklich eine unsägliche Situation, wie sie ja schon seit vielen Monaten anhält, das ist ja eigentlich nichts Neues. Es hat sich jetzt nochmal deutlich zugespitzt, weil eben noch mehr in den vergangenen Wochen angekommen sind.
Man muss sich das so vorstellen, dass es ein Camp gibt, wo Container stehen, wo auch befestigte Wege sind und auch Strom und Wasser verfügbar sind. Aber drumherum in dem Olivenhain, das ist ein hügeliges Gelände, gibt es wilde Siedlungen und Unterkünfte. Zelte, wo es eben keine Wasserver- und entsorgung, keinen Strom und keine Sicherheit gibt. Das ist quasi ein Nährboden für ein solche Virus-Situation und eine solche Bedrohung, wie wir sie jetzt haben. Das wäre wirklich sehr schwierig.
DOMRADIO.DE: Das Flüchtlingsdrama ist ja wegen der Coronavirus-Pandemie aus den Schlagzeilen verschwunden. Was heißt das für die Menschen, die dort festsitzen, und die Helfer?
Krauß: Das ist tatsächlich ein richtiges Drama, denn die ganze Situation auf den ägäischen Inseln ist nichts Neues und es ist immer mal wieder punktuell in den Medien. Aber die Belastung ist doch erheblich, auch für die aufnehmenden Gemeinden. Moria ist ein ganz kleines Dorf. Man muss sich vorstellen, dass eine um das x-fache größere Siedlung nebenan wild entstanden ist. Es kommen immer mehr Menschen dorthin. Dass man jetzt aus den Medien wieder verschwindet und eventuell auch die angedachten Lösungen nun nicht stattfinden, das wäre wirklich eine fatale Situation und ein fatales Signal für die Griechen auf den Inseln, aber eben auch für unsere Partner, die Caritas Griechenland, die für uns die Projekte vor Ort durchführt.
Die Frage ist: Wie können wir die Versorgung dort langfristig absichern? Es ist einfach letztendlich auch eine Geldfrage. Denn wenn dieses Problem nicht mehr in den Medien auftaucht, rückt es aus dem Bewusstsein der Menschen, dann kommen auch keine Spenden herein, auf die wir dringend angewiesen sind, damit wir dort den Menschen helfen können.
DOMRADIO.DE: Die EU-Innenminister werden bei ihrem Treffen an diesem Dienstag wohl auch über die Flüchtlinge auf den Inseln beraten. Das hat Kanzlerin Merkel bei der Pressekonferenz am Montag zumindest angedeutet. 1.500 unbegleitete Minderjährige sollen ja eigentlich aufgenommen werden. Was bringt das eigentlich? Bringt das Entlastung für Ihre Arbeit?
Krauß: Das ist erst mal ein politisches Signal und ein Symbol. Dafür ist das gut. Und es ist auch für die 1.500 Evakuierten sicherlich eine deutliche Verbesserung ihrer Situation. Wenn man von den mehr als 19.000 Menschen im Camp Moria 1.500 wegnimmt, ist das kaum spürbar vor Ort und auch kaum eine Entlastung für die Situation der Helfer und der Strukturen, die dort tätig sind. Bei einer zehnfachen Überbelegung würde man nicht einmal zehn Prozent davon evakuieren. Es ist ein Symbol, und es ist für die Leute gut. Das darf man nicht unterschätzen. Aber eine Entlastung vor Ort bringt dies nur, wenn es langfristige Wirkung zeigen würde.
DOMRADIO.DE: Ich nehme an, dass der Schutz der Helfer auch eine Rolle spielt und Sie darüber beraten haben. Wie sehen denn Ihre Hilfen vor Ort konkret aus?
Krauß: Das ist in der Tat im Augenblick die größte Sorge, die wir haben: Der Selbstschutz unserer Kollegen, die dort täglich in den Camps arbeiten. Wir sind in dem Camp Kara Tepe, das ist ungefähr fünf Kilometer entfernt vom Camp Moria und mit dem auch verbunden. Dorthin kommen vor allem die besonders vulnerablen Personen wie Frauen mit kleinen Kindern oder psychisch belastete Personen. Dort leisten wir vor allem auch psychologische Hilfe. Das ist gerade jetzt besonders wichtig, weil die Situation unklar ist, wie es weitergeht.
Viele sind schon seit vielen Monaten da, es kommen Neue hinzu. Diese aufzufangen, zu unterstützen, aber ihnen auch - gerade in dieser Situation - Hygieneartikel, Decken und einen Schlafsack zu geben, sind die Maßnahmen, die wir im Augenblick machen. Zudem schauen wir, dass der Selbstschutz unserer Kollegen dort aufrechterhalten wird und besonders darauf geachtet wird. Denn wenn die erkranken, hat niemand etwas gewonnen.