KNA: Sie haben angesichts der Versammlungs- und Veranstaltungsverbote kürzlich kritisiert, es gebe eine "Sehnsucht nach Durchgreifen und Durchregieren" in der Corona-Krise. Aber ist es nicht auch so, dass momentan viele Menschen sehr froh sind, dass der Staat endlich drastische Maßnahmen ergreift, um die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen?
Johannes zu Eltz (Frankfurter Stadtdekan): Ich habe nichts dagegen, wenn der Staat in seiner Verantwortung für das Gemeinwohl machtvoll handelt. Aber die Notwendigkeit, unpopuläre und repressive Maßnahmen zu veranlassen, in einer epidemiologischen Gefahrenlage rechtzeitig und konsequent zu handeln, sollte gestufte Verantwortung, Subsidiarität und Selbstständigkeit nicht ausschließen.
Ich glaube, auch in einer extremen Lage muss nach einem Gleichgewicht von Sicherheit und Freiheit gesucht werden. Wir müssen ein Rechtsstaat bleiben, auch wenn wir eine Pandemie bekämpfen.
KNA: Sie haben bei manchem für Verwunderung gesorgt mit der Aussage, Sie selber hätten überhaupt keine Angst vor dem Virus, "weil eh jeder krank wird und weil am Ende aller Tage auch das Leben nicht der Güter höchstes ist". Sie zitieren damit zwar auch Friedrich Schiller, aber diese Aussage kann auch so wirken, als wäre dem Frankfurter Stadtdekan das Leben anderer Menschen nicht so wichtig.
Zu Eltz: Das kann ich nur für mich selber geltend machen. Mit dem Leben anderer, die vielleicht eine andere Einstellung dazu haben, muss ich sorgfältig und achtsam umgehen. Ich kann meine Standards nicht einfach auf andere übertragen.
KNA: Warum ist Ihnen das Leben nicht das höchste Gut?
Zu Eltz: Weil es, wenn es zum Äußersten kommt, noch höhere gibt. Ein Menschenleben ist für mich nur menschenwürdig, wenn es in Freiheit gelebt werden kann. Die Relativierung des Überlebens ist keine Weltverachtung. Sie setzt mich in Stand, auch in aufgeregten Zeiten Güter gegeneinander abzuwägen. Diese Freiheit der Abwägung würde ich gerne mir und auch anderen erhalten.
Herzstück eines demokratischen Rechtsstaates ist die Freiheitsliebe der gewöhnlichen Bürger. Die Bereitschaft, sich seines kritischen Verstandes zu bedienen, ist gerade dann erforderlich, wenn es im Land viele Ängste gibt und der Staat seine Macht zur Geltung bringt.
KNA: Sie bedauern es, dass das Bistum Limburg in der Corona-Krise bis auf weiteres alle Gottesdienste abgesagt hat. Ein Gottesdienst sei keine verzichtbare Kulturveranstaltung, sondern spirituelle Daseinsvorsorge, sagten Sie kürzlich. Warum ordnen Sie Gottesdienste in diese hohe Kategorie der Daseinsvorsorge ein, wie etwa die Versorgung mit Strom oder Wasser?
Zu Eltz: Ich kann doch als Christ nur leben, wenn Christus in mir lebt. In der Eucharistiefeier begegnet er uns persönlich. Er erreicht uns mit seinem Wort und schenkt sich uns in der Kommunion. Das ist für Christen buchstäblich lebensnotwendig. Ohne ihn können wir nichts tun und bringen wir nichts zuwege, schon gar nicht Nächstenliebe.
Ich muss in Christus sein und er in mir, damit ich selbstlos, klug und tapfer das Gute tun kann, das im Moment dran ist, und zwar für jeden, der diesen Dienst braucht, egal wer. Über diese zwei Schritte sind Gottesdienste auch für den Zusammenhalt einer säkularen Gesellschaft systemrelevant.
KNA: Sollte man Gottesdienste analog zum Lebensmitteleinkauf so halten, dass man die Teilnehmenden anweist, sich möglichst weit auseinanderzusetzen?
Zu Eltz: Klar, das sind die Vorgaben des Bistums. An die halte ich mich. Öffentliche, das heißt frei zugängliche Gottesdienste sind nicht mehr erlaubt. Aber ich sehe für mich die Möglichkeit, die Messe zu feiern mit einer sehr kleinen Anzahl von Personen, die auf jeden Fall die Gewähr bieten, dass sie auf die nötigen Vorsichtsmaßregeln achten. Das sind vielleicht sieben Leute, und die müssten auch nicht jeden Tag dieselben sein.
Dann ist wenigstens, wie das Zweite Vatikanische Konzil es wollte, ein kleiner Kreis von Gläubigen um den Priester versammelt. Am Sonntag um 10.00 Uhr wollen wir den Gottesdienst im Dom als Livestream senden. Das ist nicht so wie Selberhingehen, aber es kommt in die Nähe.
Das Interview führte Norbert Demuth.