Flüchtlingsorganisationen fordern Aufhebung der Abschiebehaft

Unterbringung in Zeiten der Coronakrise untragbar

Die Bedingungen in den Abschiebezentren und Abschiebehaftanstalten seien für die Menschen in Zeiten der Coronavirus-Pandemie untragbar. Flüchtlingsorganisationen fordern deshalb, die Abschiebehaft aufzuheben.

Bedingungen in Aschiebehaft während Corona-Krise nicht tragbar / © Friso Gentsch (dpa)
Bedingungen in Aschiebehaft während Corona-Krise nicht tragbar / © Friso Gentsch ( dpa )

DOMRADIO.DE: Das Ökumenischen Netzwerk Asyl in der Kirche NRW hat drei Forderungen. Die erste lautet: Abschiebehaft aufheben. Wieso ist das jetzt so wichtig – auch im Hinblick auf die Pandemie?

Benedikt Kern (Ökumenisches Netzwerk Asyl in der Kirche NRW): Es ist so, dass in den Abschiebezentren, die wir in Deutschland haben, die Menschen in der Regel sehr eng untergebracht sind. Das betrifft zum einen die Abschiebehaftanstalten, zum anderen aber auch die Landeseinrichtungen. Unter den derzeitigen Bedingungen der Coronavirus-Ausbreitung ist es unter gar keinen Umständen weiter tragbar, dass Menschen in diesen Einrichtungen eingesperrt bleiben.

DOMRADIO.DE: In den Forderungen geht es auch um die griechischen Flüchtlingslager und um die Sammelunterkünfte im Land. Welche Probleme haben die Menschen dort durch die Corona-Pandemie und wie lauten Ihre Forderungen?

Kern: Es ist so, dass auf der griechischen Insel Lesbos zurzeit ungefähr 40.000 Menschen unter wirklich erbärmlichen Zuständen in Lagern in der Nähe von Moria leben. Darunter sind ungefähr 10.000 Minderjährige. Das sind alles Menschen, die im Niemandsland zwischen der Türkei und Griechenland leben. Im Grunde genommen werden sie aus medizinischer Sicht nur mit dem Allernötigsten versorgt. Das heißt, wenn es hier wirklich zu einem ernsthaften Anstieg von Corona-Fällen kommen sollte, wird es in keiner Weise eine Behandlungsmöglichkeit für Menschen geben, die sich in diesen Lagern befinden. Das ist das eine Problem.

Das andere Problem ist, dass diese Menschen an der Peripherie der europäischen Grenzen und aus Europa draußen gehalten werden und die EU in keiner Weise Verantwortung übernimmt, die jetzt geboten wäre - und durch die Pandemie eben nochmal zusätzlich.

DOMRADIO.DE: Sie sind mit dem Ökumenischen Netzwerk Asyl in der Kirche für die Menschen zuständig, die in der Kirche Zuflucht suchen. Wie gehen Sie mit der Situation um?

Kern: Es ist so, dass die Menschen im Kirchenasyl zurzeit unter etwas erschwerten Bedingungen leben. Das ist völlig klar. Zum einen, weil die Versorgung durch die Gemeinden nicht mehr in der gleichen Art und Weise sichergestellt werden kann, wie das bisher der Fall war, weil diese Arbeit meist von ehrenamtlichen Helfer übernommen wird, die teilweise zur Risikogruppe gehören.

Auf der anderen Seite ist es aber immer noch so, dass viele Menschen, die in Nordrhein-Westfalen im Kirchenasyl sind, sehr froh sind, dass sie in Gemeinden leben können und eben nicht in Sammelunterkünften, den sogenannten Zentralen Unterbringungseinrichtungen, weil die Bedingungen in diesen Lagern einfach schlecht sind. Es ist so, dass es dort nur Bäder für große Menschengruppen gibt, Küchen und andere Flächen, die in keinster Weise der Prävention gegen die Ausbreitung des Coronavirus angemessen sind.

Es gibt diese doppelte Perspektive, die die Menschen im Kirchenasyl gerade haben. Einerseits ist es eine angespannte Situation, andererseits ist es immer noch besser, als in diesen Sammelunterkünften zu sein.

DOMRADIO.DE: Die Coronavirus-Pandemie macht Geflüchteten mit Sicherheit noch mehr Angst als all denen, die ein eigenes Dach über dem Kopf haben und hygienische Vorschriften einhalten können. Was für Sorgen haben die Menschen?

Kern: Ein Problem ist tatsächlich das der Sprache. Viele sind nicht ausreichend mit Informationen ausgestattet, die in ihrer Sprache zugänglich sind. Da arbeiten wir gerade unter Hochdruck dran, dass diese Informationen zur Verfügung gestellt werden können.

Das andere Problem ist, dass Menschen im Kirchenasyl nicht krankenversichert sind. Das heißt, es kann unter Umständen dazu kommen, dass Gemeinden, wenn es zu Fällen mit Infizierten kommt, diese dann auch finanziell  tragen müssen. Und das ist natürlich für die Betroffenen erst einmal eine Belastung. Wobei wir derzeit noch nicht davon ausgehen, dass es an diesen finanziellen Punkten dann scheitert, wenn es zu Erkrankungen kommt. Trotzdem belastet das natürlich Menschen im Kirchenasyl.

Der dritte Punkt, die sozialen Kontakte, stellt viele vor Fragen. Gerade für Menschen, die von Abschiebung bedroht sind und deswegen im Kirchenasyl sind, ist für die psychische Gesundheit und auch Stabilität notwendig, dass es Sozialkontakte gibt. Wenn es die jetzt aufgrund der Verbreitung des Coronavirus nur noch in ganz eingeschränktem Maße gibt, erhöht das den Druck auf die Einzelnen.

Das Interview führte Michelle Olion.


Quelle:
DR
Mehr zum Thema