Neue Verwerfungen im Schweizer Bistum Chur

Generalvikar Kopp abgesetzt - Maulkorb für Weihbischof Eleganti

Fast überall auf der Welt steht dieser Tage das Leben still. Im Bistum Chur allerdings haben die Katholiken Puls. Auf beiden Seiten der Gräben zwischen Konservativen und Protestierern wurde eine Galionsfigur abgestraft.

Autor/in:
Alexander Brüggemann
Schweizer Fahnen (shutterstock)

"Zu weit getrieben, verfehlt die Strenge ihres weisen Zwecks; und allzu straff gespannt, zerspringt der Bogen." So heißt es warnend in Friedrich Schillers berühmter Apfelschuss-Szene im "Wilhelm Tell". Zu straff gespannt ist der Bogen im Schweizer Bistum Chur. Und ja, es ist auch der Wurm darin. Seit Jahren kommt das komplizierte Kirchengebilde, zu dem neben stark ländlichen Kantonen auch die finanzstarke Metropole Zürich gehört, nicht zur Ruhe. Konservative und Frustrierte wegen "disziplinierender Haltung, hartherziger Theologie und pessimistischer Bischöfe, die den Gläubigen misstrauen", finden nicht mehr zueinander.

Die Zerwürfnisse sind tief

Sie gehen zurück in die Amtszeiten der sehr konservativen Bischöfe Wolfgang Haas (1988/90-1997) und Vitus Huonder (2007-2019). Einen neuen Paukenschlag gab es nun, während die Diözese noch allzu gespannt auf die Ernennung von Huonders Nachfolger wartet: Der Interimsverwalter, Bischof Pierre Bürcher (74), setzte vergangene Woche den beliebten Urschweizer Generalvikar Martin Kopp (73) ab - und verbot gleichzeitig Weihbischof Marian Eleganti (64) öffentliche Äußerungen ohne Rücksprache mit dem Bistum. Anlass für die Sanktionen sind freilich zwei sehr unterschiedliche Vorgänge.

Der Churer Weihbischof Eleganti hatte in einem Interview des Portals kath.net die Maßnahmen der Schweizer Bischofskonferenz zur Eindämmung des Coronavirus kritisiert - und einen Zusammenhang zwischen der Frömmigkeit einer Bevölkerung und ihrer Bedrohung durch Seuchen hergestellt. "Wie kann ich von der Kommunion Unheil und Ansteckung erwarten?", fragte er. Administrator Bürcher erklärte, dadurch sei unter den Gläubigen Verwirrung über die Haltung des Bistums Chur zu Corona entstanden. Künftig darf sich Eleganti daher nur noch im Einvernehmen mit Bürcher und Mediensprecher Giuseppe Gracia öffentlich äußern.

"Man wollte mich entsorgen"

Pikanter ist die Entlassung von Generalvikar Kopp. Der wäre im Sommer ohnehin in den Ruhestand gegangen. Er sieht sich als Opfer einer "gezielten Demütigung" und einer Intrige der Churer Bistumsleitung - namentlich des Generalvikars Martin Grichting und des Medienbeauftragten Gracia, wie er im Interview des Portals kath.ch sagte. "Man wollte mir noch eins auswischen, mich entsorgen", so der kritische Kirchenmann; dabei wäre er aus gesundheitlichen Gründen eh bald weg gewesen.

Die Empörung über seine fristlose Ablösung ist jedenfalls groß. "Ein mutiger Mahner wird mundtot gemacht", protestierte die linkskatholische Allianz "Es reicht!". Kopp sei ein "hochverdienter Seelsorger, der sich zeitlebens für eine glaubwürdige und diakonische Kirche engagiert" habe. Die Vorsitzenden der römisch-katholischen Landeskirchen der Urschweiz klingen ähnlich: "Wir sind bestürzt und protestieren!" Ob sich Interimsverwalter Bürcher bewusst sei, welchen Schaden er anrichte, "statt für Ausgleich zu sorgen"?

Generalvikar Grichting, seit Huonders Zeiten im Amt, weist diese Vorwürfe entscheiden zurück - und wiederholt die offizielle Darstellung des Bistums: Auf seiner Website wirft die Leitung Kopp vor, in einem Interview der "NZZ am Sonntag" ein mögliches Eingreifen des Staates in die anstehende Bischofswahl begrüßt zu haben. Kopp habe öffentlich eine Initiative unterstützt, die darauf abziele, die Freiheit des Papstes und des Domkapitels bei der Wahl des neuen Bischofs einzuschränken. Damit habe er das Vertrauen von Administrator Bürcher verloren.

Eine Herkules-Aufgabe

Gemeint ist ein Vorstoß der Zürcher Regierungsrätin Jacqueline Fehr. Diese wollte dem Papst via Bundesrat einen Brief schicken, er möge dafür sorgen, dass im Bistum Chur ein Bischof gewählt werde, der den Landeskirchen freundlich gesinnt sei. Doch das Projekt kam politisch nicht zustande.

Kopp dagegen betont, seine Aussagen, auch die inkriminierten, seien Allgemeinplätze und bekannte Tatsachen gewesen. Bischof Bürcher lasse sich von Grichting und Gracia die Agenda diktieren, die die Deutungshoheit im Bistum Chur beanspruchten.

Der Interimsverwalter Bürcher, selbst Schweizer, aber emeritierter Bischof von Reykjavik/Island (2007-2015) und eigentlich wegen angeschlagener Gesundheit im Ruhestand, hat mit Chur eine undankbare Aufgabe übernommen. Natürlich kennt er die Schweizer Kirchenverhältnisse bestens, war seit 1994 Weihbischof im Bistum Lausanne, Genf und Freiburg. Doch im hoch polarisierten Bistum Chur Frieden herzustellen, ist eine Herkules-Aufgabe.

Immer wieder wird über mögliche Nachfolger auf Huonders Bischofsstuhl spekuliert. Und immer wieder werden dabei vier als besonders konservativ geltende Priester genannt, darunter auch Generalvikar Grichting. Alle Kandidaten seien auf der Linie des Vorgängers, so heißt es in den Schweizer Medien fast unisono. Und auch der geschasste Generalvikar Kopp scheint in dasselbe Horn zu blasen, wenn er sagt: "Ich habe große Sorgen, dass der Wunsch des ganzen Bistums nach einem Brückenbauer nicht in Erfüllung geht." - "Ertragen muss man, was der Himmel sendet" - nach diesem Tell-Zitat haben sich viele in Chur schon so lange gerichtet.


Quelle:
KNA