"Es ist derzeit noch zu früh für Lockerungen, aber es ist nie zu früh für eine öffentliche Diskussion über Öffnungsperspektiven", erklärte der Vorsitzende des Ethikrates, Peter Dabrock, am Dienstag in Berlin. Die Menschen bräuchten gerade in der jetzigen Situation Hoffnungsbilder. Das motiviere zum Durchhalten.
Dramatische Nebenfolgen
Auch in der Krise müsse die Politik in die Zivilgesellschaft eingebunden sein. "Die Corona-Krise ist die Stunde der demokratisch legitimierten Politik." Dabrock äußerte sich vor der Presse, um die vor kurzem vom Deutschen Ethikrat veröffentlichte Stellungnahme zu dem Thema zu erläutern. Die Kommunikationsstrategie vieler politisch Verantwortlicher zu Öffnungsperspektiven sei "verbesserungsbedürftig", so Dabrock.
Angesichts der zum Teil "dramatischen Nebenfolgen" müsse immer wieder überprüft werden, "ob die Maßnahmen für alle oder für einzelne Gruppen weiterhin geeignet, erforderlich und angemessen sind, sprich verhältnismäßig sind", betonte Dabrock. Dies setze eine ständige Debatte über die Bedeutung schutzwürdiger Güter und das Maß eines gesellschaftlich akzeptablen Risikos voraus.
Leben oder Wirtschaft?
Dabei dürfe es nicht nur um den Zeitaspekt gehen, sondern um die schon jetzt sichtbaren Folgen. Die eigentliche Frage bestehe aber nicht nur darin, "ob Leben oder Wirtschaft primär zu sichern seien".
Es gebe ebenso Solidaritätskonflikte mit Blick auf die Schutzgüter Gesundheit und Leben. Dabrock verwies etwa auf verschobene Operationen oder Therapien bei Alkoholsucht oder Depression. Auch Kranke und Sterbende fänden nicht mehr die angemessene Begleitung. Man müsse weg von einem "Alles-oder-Nichts-Denken und Handeln".
Als weitere Mitglied des Ethikrates erläuterte der Gießener Rechtswissenschaftler Steffen Augsberg die Ausführungen des Gremiums zur "Triage", also der Entscheidung, welche Patienten weiterbehandelt werden, wenn nicht mehr für alle überlebensnotwendige Beatmungsgeräte vorhanden sind. Dabei betonte er, dass auch dann der Gleichheitsgrundsatz im Sinne der Menschenwürde gelten müsse. Das gelte auch für die Kriterien der medizinischen Fachgesellschaften.
Dabei sei jede diskriminierende Auswahl etwa nach Alter oder sozialer Zugehörigkeit ausgeschlossen. Damit blieben als wesentliches Kriterium die therapeutischen Aussichten.