Zum 75. Todestag von Käthe Kollwitz

"Ich will wirken in dieser Zeit der Verunsicherung und Not"

Die Künstlerin Käthe Kollwitz war vielseitig begabt. Als Bildhauerin, Grafikerin und Malerin schuf sie Werke von großer sozialer Sprengkraft – bis heute. Am 22. April vor 75 Jahren starb sie. Drei Wochen vor Ende des Zweiten Weltkriegs.

Käthe Kollwitz vor ihrem Selbstbildnis, um 1935, Fotograf unbekannt, Nachlass Kollwitz (Käthe Kollwitz Museum)
Käthe Kollwitz vor ihrem Selbstbildnis, um 1935, Fotograf unbekannt, Nachlass Kollwitz / ( Käthe Kollwitz Museum )

DOMRADIO.DE: "Ich will wirken in dieser Zeit der Verunsicherung und Not." Das hat Käthe Kollwitz 1922 geschrieben. Was genau hat sie gemeint?

Hannelore Fischer (Direktorin Käthe-Kollwitz-Museum Köln): 1922 war die Zeit der Inflation und die Entstehung der Weimarer Republik war noch nicht ganz abgeschlossen. Käthe Kollwitz kommt aus einer liberalen, religiös, später auch durch den Vater sozialistisch geprägten Familie. Eines ihrer bedeutendsten Zitate lautet: "Eine Gabe ist eine Aufgabe." Dieses Motto hat sie in ihrer Kunst geleitet, das künsterlisch zu erschaffen, was den Menschen in ihrer "Verunsicherung und Not" hilft. Das drückt sie auch mit dem Satz aus: "Eine Zeit, in der die Menschen so ratlos und hilfsbedürftig sind". Helfen wollen war für sie immer ein Impetus.

DOMRADIO.DE: Was waren denn ganz besonders schwere Zeiten für die Künstlerin selbst?

Fischer: Man muss sich bewusst machen, sie ist 1945 mit knapp 78 Jahren gestorben. Sie hat, 1867 geboren, nicht nur die komplette Kaiserzeit erlebt, sondern auch den Ersten Weltkrieg, in dem sie gleich zu Beginn ihren 18-jährigen Sohn Peter verloren hat, die Weimarer Republik, den Nationalsozialismus und noch den Zweiten Weltkrieg, in dem sie ihren ältesten Enkel verlor, der auch Peter hieß. Sie ist drei Wochen vor Kriegsende gestorben.

Diese Schrecken, die in ihrem Leben dicht zusammengefasst sind, muss man sich bewusst machen. Auch was das bedeutet hat, auf diese Ereignisse und verschiedenen Phasen als Künstlerin zu reagieren, die wir so seit 1945 nicht mehr erlebt haben.

DOMRADIO.DE: Käthe Kollwitz ist kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs gestorben. Hat sie am Ende ihres Lebens noch an eine bessere Welt geglaubt?

Fischer: Ja, sie hat ja, was auch sehr christlich ist, immer von einer Bruderschaft der Menschen gesprochen. So hat ihre Enkeltochter, die sie betreut hat, sie auch zitiert, dass sie daran bis zum Schluss geglaubt hat. Sie hat ja auch gesagt: "Man kann es erreichen, davon bin ich überzeugt." Wir wissen inzwischen, wie schwierig das ist, und wie viele Versuche, ins Leere gehen. Aber man sollte das Werk Käthe Kollwitz' in dem Bewusstsein ansehen, dass das für sie ganz wichtig war.

DOMRADIO.DE: Was ist das künstlerisches Erbe Käthe Kollwitz'?

Fischer: Es gibt in Köln nicht nur das Käthe Kollwitz Museum, sondern auch die erste Bundesgedenkstätte der Bundesrepublik Deutschland für die Toten beider Weltkriege mit der Skulptur der "Trauernden Eltern" in der Kirchenruine St. Alban.

Die künstlerische Auseinandersetzung von Käthe Kollwitz mit den historischen Ereignissen in Deutschland, die zu viel Leid in der Bevölkerung und für sie selbst geführt haben, sind der Grund dafür, dass man die Neue Wache als Bundesgedenkstätte der Bundesrepublik in Berlin wieder mit einer Skulptur von Käthe Kollwitz, "Mutter mit totem Sohn", ausgestattet hat. Diese Werke sprechen jeden Menschen an, egal, wo er gerade in seinem Leben steht. Ihr Werk steht auch für sie als Frau, zu der sie sich vor allen Dingen in der Weimarer Republik entwickelt hat.

DOMRADIO.DE: Am 22. April 2020 ist der 75. Todestag von Käthe Kollwitz, den Sie groß im Museum mit der Sonderausstellung "Liebe und Lassenmüssen" feiern wollten. Wegen der Corona-Krise geht das nicht. Wann hoffen Sie, dass Sie diese Sonderausstellung nachholen können?

Fischer: Wir haben gerade auch einen Umbau im Museum mit viel Lärm und Dreck und hoffen, dass wir am 9. Juni die Ausstellung eröffnen können. Ursprünglich hatten wir für den Jahrestag eine Lesung mit Renate Fuhrmann und dem Duo KontraSax geplant, die wir im August nachholen wollen.

DOMRADIO.DE: Kann uns Käthe Kollwitz in so einer schweren Zeit etwas ganz Besonderes zeigen?

Fischer: Käthe Kollwitz hat oft das Wort "aushalten müssen" gesagt hat. Sie hatte viele Phasen in ihrem Leben, die sie aushalten musste und durch die sie auch durchgekommen ist. Das finde ich erst einmal wichtig.

Zweitens - und da möchte ich auf unsere Internetseite mit vielen Bildern, Texten und Kommentaren zur Sammlung und zum Werk hinweisen - findet man viele Themen, die einen, auch wenn man zu Hause bleiben muss, trösten können. Ob das jetzt familiäre Szenen sind, politische Plakate oder ihre Selbstbildnisse, die ihr Befinden über Jahrzehnte widerspiegeln.

Es gibt vieles, was man sich als Thema aussuchen kann und wo man vielleicht mal stöbert. Außerdem haben wir gerade das Museum in 3D aufgenommen. Wir bearbeiten das gerade und in wenigen Tagen kann man sich das auch auf unserer Seite angucken und via 3D durchs Museum laufen.

Das Interview führte Hilde Regeniter. 


Käthe Kollwitz, Die Freiwilligen, Blatt 2 der Folge "Krieg", 1921/22, Holzschnitt, Kölner Kollwitz-Sammlung (Käthe Kollwitz Museum)
Käthe Kollwitz, Die Freiwilligen, Blatt 2 der Folge "Krieg", 1921/22, Holzschnitt, Kölner Kollwitz-Sammlung / ( Käthe Kollwitz Museum )

Käthe Kollwitz, Mahnmal Trauernde Eltern, 1917–32, Werkstatt Ewald Mataré, Köln, 1953/54, Bundesgedenkstätte für die Toten beider Weltkriege, Kirchenruine Alt St. Alban, Köln, eingeweiht 1959  (Käthe Kollwitz Museum)
Käthe Kollwitz, Mahnmal Trauernde Eltern, 1917–32, Werkstatt Ewald Mataré, Köln, 1953/54, Bundesgedenkstätte für die Toten beider Weltkriege, Kirchenruine Alt St. Alban, Köln, eingeweiht 1959 / ( Käthe Kollwitz Museum )

Käthe Kollwitz, Pietà, 1937–39, vierfach vergrößerte Kopie von Harald Haacke, 1993, Zentrale Gedenkstätte der Bundesrepublik Deutschland für die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft, Neue Wache, Berlin, eingeweiht 1993 (Käthe Kollwitz Museum)
Käthe Kollwitz, Pietà, 1937–39, vierfach vergrößerte Kopie von Harald Haacke, 1993, Zentrale Gedenkstätte der Bundesrepublik Deutschland für die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft, Neue Wache, Berlin, eingeweiht 1993 / ( Käthe Kollwitz Museum )
Quelle:
DR
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