Seit mehr als 70 Jahren sucht das Rote Kreuz Vermisste

2023 endet die Suche nach Weltkriegsvermissten

Vor 73 Jahren wurde die Suchdienst-Verbindungsstelle des Roten Kreuzes gegründet. Ende 2023 wird die Suche nach Weltkriegsvermissten eingestellt. Für Anfragen bleibt noch etwas Zeit.

Autor/in:
Christoph Koitka und Anna Mertens
Der Schriftzug "Suchdienst München" / © Marc Müller (dpa)
Der Schriftzug "Suchdienst München" / © Marc Müller ( dpa )

Der Krieg ist noch nicht vorbei, da treffen im Frühjahr 1945 zwei ehemalige Ostfrontkämpfer eine zukunftsträchtige Entscheidung. In Flensburg richten die Wehrmachtsoffiziere Helmut Schelsky und Kurt Wagner einen Suchdienst für Vermisste ein. Damals sind 30 Millionen Deutsche voneinander getrennt. Schelsky und Wagner gehen davon aus, dass jeder Suchende selbst vermisst wird. Daher bekommen in ihrer Kartei beide eine Karte - eine Suchkarte und eine Stammkarte. Ihren Dienst nennen sie "Deutsches Rotes Kreuz, Flüchtlingshilfswerk, Ermittlungsdienst, Zentral-Suchkartei". "Wir sorgen dafür, wenn es den, den ihr sucht, überhaupt noch irgendwo gibt, werden wir euch das bald sagen", so das Credo.

Noch können Anfragen gestellt werden

Der so entstandene Suchdienst des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) spürt bis heute Vermissten in aller Welt nach. Doch 2023 soll die Arbeit zumindest hinsichtlich der Weltkriegsvermissten zu einem Ende kommen. "Ende 2023 wird der DRK-Suchdienst diese vom Bund finanzierte Aufgabe gemäß einer Vereinbarung mit dem Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI) beenden. Deshalb sollten Anfragen beim DRK-Suchdienst am Standort München in den nächsten anderthalb Jahren gestellt werden", erklärte DRK-Präsidentin Gerda Hasselfeldt am Montag in Berlin. Stichtag für Anfragen ist daher der 31. Dezember 2021.

In den ersten Jahren waren es vor allem Plakate, Rundfunkdurchsagen und Heimkehrerbefragungen, die Getrennte wieder zusammenbrachten. Von Online-Datenbanken und digitalen Bildern konnten die DRK-Mitarbeiter damals nur träumen. Die Situation nach Kriegsende erschwerte die Arbeit nicht nur durch die chaotischen Zustände und die unzureichenden Werkzeuge; auch administrativ wurden den Suchern durch die Besatzungsmächte Steine in den Weg gelegt.

Kein gemeinsamer Suchdienst

Besonders heikel war die Situation in den späten 40er-Jahren in der Vier-Sektoren-Stadt Berlin. Hier konnten sich die Besatzer nicht auf einen gemeinsamen Suchdienst einigen. Um die Arbeit der beiden Einrichtungen im amerikanischen und im sowjetischen Sektor zu koordinieren, richtete das DRK am 30. Juli 1947 eine "Suchdienst-Verbindungsstelle" in Berlin-Dahlem ein. Seit 1949 arbeitet der Suchdienst des DRK im Auftrag der Bundesregierung; 2017 wurde eine neue Suchdienstvereinbarung unterzeichnet mit einer jährlichen Fördersumme von 11,5 Millionen Euro.

Der Zweite Weltkrieg ist seit 75 Jahren vorbei, am 8. Mai jährt sich das Kriegsende. Die Ungewissheit, die er hinterlassen hat, dauert für viele Menschen an. Nicht alle Familien, die in den Kriegswirren ihre Angehörigen verloren, haben diese wiedergefunden. Die Nachforschungen des DRK-Suchdienstes gehen weiter. Im vergangenen Jahr gingen 10.091 Suchanfragen zu Weltkriegsvermissten ein, im Jahr zuvor waren es rund 9.000 gewesen.

Schicksale aufklären

"Wir gehen davon aus, dass im Umfeld des 75. Jahrestages des Kriegsendes das Interesse an diesem Thema steigt und in vielen Familien das Bedürfnis wächst, das Schicksal vermisster Angehöriger abschließend zu klären", sagte Hasselfeldt. Danach werde das Interesse aber wohl angesichts der demografischen Entwicklung wieder abflachen. Die Suchenden sind zumeist Kinder und Enkel der Verschollenen. In 23 Prozent aller Fälle könne der DRK-Suchdienst Auskunft über den Verbleib eines vermissten Angehörigen geben.

Der Fokus der Arbeit liegt mittlerweile auf Betroffenen jüngerer Konflikte. Seit 2015 ist der DRK-Suchdienst stark mit Anfragen von Menschen beansprucht, die auf der Flucht aus Krisengebieten, etwa dem Irak oder Syrien, getrennt worden sind. So seien im vergangenen Jahr 2.083 Suchanfragen von Flüchtlingen eingegangen, die den Kontakt zu ihren Angehörigen verloren haben. Die Suchenden und Gesuchten von heute forschen nicht mehr zwischen Ostfront und Deutschland. Hauptherkunftsländer sind nunmehr Afghanistan, Syrien und Somalia. Diese Arbeit soll auch nach 2023 weitergehen.


Quelle:
KNA
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