DOMRADIO.DE: Frau Holtz, heute bricht die letzte Schulwoche vor den großen Ferien an. Sie sind Schulpflegschaftsvorsitzende und Mutter von vier Kindern im Alter zwischen sechs und 15 Jahren. Wie ist es Ihnen in der zurückliegenden Woche ergangen, seitdem die Grundschulen wieder für den Regelbetrieb geöffnet wurden?
Stephanie Holtz (Pflegschaftsvorsitzende der Kölner Domsingschule): Nach kräftezehrenden Monaten im Lockdown befinden wir uns seit einer Woche nun wieder in einem völlig neuen Fahrwasser. Als Eltern mussten wir einmal mehr flexibel reagieren und komplett umschalten, als die Mitteilung kam: Die Domsingschule öffnet wieder vollständig. Allerdings hatten wir Gelegenheit, unsere beiden Grundschulkinder an den einzelnen Präsenztagen in den vergangenen Wochen so allmählich auf den Wiedereinstieg vorzubereiten. Schließlich waren die Kinder ja gewissermaßen auch ein Stück schulentwöhnt. Als Schulpflegschaftsvorsitzende wiederum war ich ständig mit Eltern in Kontakt, die viele Fragen und auch Sorgen hatten. Vor allem, wenn sie selbst arbeiten mussten. Denn bei den meisten lief der Acht-Stunden-Tag ja weiter. Auch persönlich kann ich da mitreden: Ich hatte bislang noch keinen einzigen Tag, an dem alle meine vier Kinder gleichzeitig Unterricht gehabt hätten. Im Gegenteil: jeder an einem anderen Tag und immer mit einem verkürzten Stundenplan.
Außerdem bekam ich deutlich zu spüren, dass die Eltern mit zunehmender und auch unabsehbarer Dauer des Lockdowns dünnhäutiger wurden, weil viele ein großes Betreuungsproblem in dieser Zeit hatten. Von daher gibt es nun Entspannung. Die Domsingschule stellt jetzt täglich von acht bis 16.30 Uhr eine Betreuung sicher, obwohl der Unterricht selbst erst um 10 Uhr beginnt, weil manche Lehrer des Kollegiums der Risikogruppe angehören und von daher nicht jede Unterrichtsstunde stattfinden kann. Den Kindern aber sieht man ihre Freude an; sie wollten ja alle gerne in den Schulalltag zurück. Allerdings sind sie nicht so gelöst wie vor der Corona-Krise. Ihnen machen die Einschränkungen zu schaffen, und die Angst vor einer Infektion geht auch bei ihnen mit.
DOMRADIO.DE: Was sind im Moment für die Eltern und die Kinder die größten Herausforderungen?
Holtz: Schwierig sind die abrupten Übergänge: Erst saßen die Schüler in halbierten Klassen auf Abstand – und das nur alle vier Tage. Und jetzt, da sie sich gerade an die neuen Hygieneregeln gewöhnt haben und souverän mit der Maskenpflicht umgehen, trifft sich die ganze Klasse wieder an jedem Tag im großen Klassenverband. Das hätte ich mir gleitender gewünscht, zumal die Sorge vor einer Infektion ja bestehen bleibt und im Falle eines Falles die Sommerferien mit zwei Wochen Quarantäne beginnen würden.
Hinzu kommt, dass ich als Mutter während der letzten Wochen permanent darauf achten musste: Haben die Kinder alles im Griff? Kommen sie mit ihren Aufgaben zurecht? Arbeiten sie überhaupt? Gleichzeitig wurde ich bis in die späten Abendstunden und sogar am Wochenende von den Eltern angerufen und angemailt, weil es viel Klärungsbedarf gab. Regelmäßig stellten uns neue Anordnungen aus dem Schulministerium vor neue Herausforderungen, die bei den Eltern neue Fragen und Sorgen auslösten. In meinem Kopf war ich fortwährend damit beschäftigt, in Abstimmung mit der Schulleitung nach Lösungen zu suchen.
DOMRADIO.DE: Wobei besteht denn im Moment der größte Gesprächsbedarf?
Holtz: Bei dem Thema Notenfindung zum Halbjahreszeugnis. Wenn drei Monate Unterricht ausfallen, lässt sich ja auch die Leistung des einzelnen Schulkindes nicht erheben. Für die zweiten Klassen hätte es normalerweise zum ersten Mal ein Berichtszeugnis mit Noten gegeben, die nun wegfallen. Für die dritten Schuljahre soll das Zeugnis aus dem ersten Halbjahr noch einmal gelten und um wenige erläuternde Sätze ergänzt werden. Natürlich ist das für Kinder, die sich angestrengt und fleißig darauf hingearbeitet haben, in der zweiten Schuljahreshälfte bessere Ergebnisse zu erzielen, unbefriedigend. Auch solcher Unmut wird natürlich häufig zunächst einmal bei mir abgeladen.
DOMRADIO.DE: War es die richtige politische Entscheidung, so kurz vor den großen Ferien – nach drei Monaten Verzichts auf Lernen im Klassenverband – den Grundschulbetrieb noch einmal anzukurbeln, um dann die Schulen kurz darauf gleich wieder für sechs Wochen zu schließen?
Holtz: Grundsätzlich tut die Wiederaufnahme des Schulbetriebs den Kindern gut. Sie sind sichtlich entspannter, können sich wieder mit ihren Schulkameraden treffen und profitieren von dieser festen Tagesstruktur. Es ist wichtig, dass sie wieder dieses Gefühl von Schule entwickeln und sich selbst einen neuen Plan machen. Denn sie selbst kommen ja auch mit vielen Fragen und haben von der Unsicherheit, die im Zusammenhang mit dem Virus herrscht, viel mitbekommen. Da sind wir Eltern gefordert, in die wieder neu zu lernenden Abläufe Ruhe reinzubringen. Auch für die Lehrer ist es von Vorteil, kurz vor Schuljahresende noch einmal einen Eindruck von ihren Schülern zu bekommen: Wo steht der Einzelne? Wie kam er mit dem Homeschooling zurecht?
Was mich besorgt, ist, dass die Kinder – bei allem Bemühen der Schule, nicht zu viele Schüler auf einmal miteinander in Kontakt zu bringen – den Sicherheitsabstand nur bedingt einhalten können. Sollten bei einer neuen Welle die Maßnahmen noch einmal verschärft werden müssen, wäre es umso schwerer, nach einer Lockerung alles noch einmal neu anzuwerfen. Für die Schulen war es schon so ein wahnsinniger Kraftakt, dass die einzelnen Lerngruppen sich nicht begegnen und der Unterricht deswegen zeitversetzt stattfindet. Trotzdem funktionieren diese festen Einheiten ja nur in der Schule. Sobald die Kinder zum Beispiel wieder in ihre Hobbys einsteigen – bei einigen ist dies bereits mit mehreren festen Terminen in der Woche der Fall – überzeugt dieses Modell nicht mehr.
DOMRADIO.DE: Sie stehen seit über drei Monaten im ständigen Austausch mit besorgten Eltern und halten gleichzeitig engen Kontakt zur Schulleitung. Für eine vollberufstätige Familienfrau wäre ein solches Engagement doch sicher gar nicht zu stemmen…
Holtz: In der Tat ist dieses Ehrenamt in der momentanen Krisenzeit fast so etwas wie ein Fulltime-Job. Jede Schule hat ja ihre eigenen Regeln, und so hatten meine Stellvertreterin und ich – im Übrigen auch die Pflegschaftsvorsitzenden der anderen Klassen – eine ganze Menge zu tun. Denn es ist schwer, alle Eltern in ihrer je individuellen Situation gleichermaßen zufriedenzustellen. Trotzdem hören wir sehr genau zu und nehmen die Sorgen der Eltern ernst. Als Sprachrohr der Eltern zur Schulleitung ist es ganz wichtig, an die Eltern auch immer wieder zurückzumelden: Ja, wir haben Euer Problem verstanden. Und wir sind dran, es zu lösen. Das ist eine wichtige Botschaft und nimmt viel von der Anspannung. Ich selbst mag einfach diese Schule mit ihrem gemeinschaftsfördernden Konzept und will etwas bewegen. Deshalb engagiere ich mich.
DOMRADIO.DE: Welche Themen brennen denn den Eltern, deren Interessen Sie wahrnehmen, vorrangig unter den Nägeln?
Holtz: Die Kommunikation. Die Eltern wollen mit ihren Anliegen gesehen und rechtzeitig informiert werden. Und sie brauchen schon jetzt eine Perspektive für die Zeit nach den Ferien. Sie fragen danach, wie Lerninhalte, die trotz Homeschoolings fehlen, weil einfach ein Drittel des Schuljahres ausgefallen ist, aufgeholt werden können. Dann wird im Herbst den Viertklässlern ja immer auch die Empfehlung für die weiterführende Schule erteilt. Diese Einschätzung wird in diesem Jahr nicht leicht, weil die Lernleistungen auf Distanz nicht objektiv bewertbar waren. Auch das ist ein Thema. Dann, dass die Abschiedsfeiern für die 4. Schuljahre in ganz anderer Form als sonst üblich stattfinden müssen und hier Kompromisse erforderlich sind. Und schließlich waren noch die Neuplanungen rund um die nun in den September verschobene Erstkommunionfeier ein ganzes Orga-Paket mit vielen, vielen Absprachen für sich.
Das Wichtigste für die Eltern aber ist, Planungssicherheit für die Betreuungszeiten zu haben und dass nach den Ferien möglichst wieder die volle Unterrichtsstundenzahl erreicht wird. Es wurde also zu keinem Zeitpunkt langweilig.
DOMRADIO.DE: Und welche Beobachtungen machen Sie bei den Kindern, die sich gerade einmal an Abstandsregeln und das Tragen eines Nasen-Mund-Schutzes gewöhnt hatten?
Holtz: Die Kinder haben Angst um ihre Großeltern und daher davor, selbst an Corona zu erkranken und das Virus weiterzutragen. Der Umgang im Klassenraum ist nun wieder vertrauter, und Abstandsregeln werden auch schon mal vergessen, weil es eben Kinder sind. Trotzdem tragen viele von ihnen im Unterricht ihre Schutzmaske freiwillig und zeigen im Umgang mit der vorgeschriebenen Hygiene eine erstaunliche Disziplin. Kinder nehmen so etwas auch spielerisch: Hauptsache, das Design der Maske stimmt!
Im Moment sind sie damit beschäftigt, sich wieder einen neuen Tagesrhythmus zu erarbeiten und diesen einzuüben. Sie haben die Beziehung zu ihren Lehrerinnen und Lehrern vermisst sowie die zu ihrer Klassengemeinschaft. Es fehlten ihnen die Spielgefährten, und auch der Instrumentalunterricht und die kleinen Choreinheiten, die nun wieder erlaubt sind, sind als Präsenzunterricht etwas ganz anderes – auch wenn es in der Summe für die Schule und die angegliederte Musikschule des Kölner Domchores ein ungeheurer organisatorischer Kraftakt war, annähernd zur Normalität zurückzukehren.
DOMRADIO.DE: Apropos Normalität: Nun bekommen die Kinder so kurz vor der großen Ferienpause noch einmal einen kleinen Eindruck davon, wie es vor Corona war. Lohnte sich deswegen der ganze logistische Aufwand, der in den letzten Tagen betrieben wurde?
Holtz: Natürlich war das alles sehr aufwendig, aber es hat sich auch gelohnt. Denn nun gehen wir in die Ferien mit einem guten Gefühl. Auch die Abstimmungen mit den anderen Elternvertretern haben gezeigt, wie wichtig es ist, auf den Einzelnen einzugehen und alle am Ende mit ins Boot zu holen. Über das, was einen bewegt, sprechen zu können, schafft eine gute Atmosphäre. Auf diese Weise lässt sich ganz viel Unmut umschiffen. Die Ergebnisse solcher Gespräche werden jetzt ausgewertet, um damit dann – als nächsten Schritt – in eine Konferenz mit dem Träger zu gehen. Denn das Erzbistum hat in dieser Woche zu einem Austausch eingeladen, an dem wir uns seitens der Domsingschule beteiligen. Vieles läuft also auch im Interesse der Eltern im Hintergrund – und nicht immer sichtbar.
DOMRADIO.DE: Welche Reaktionen gab es denn zum Homeschooling?
Holtz: Das war für beide Seiten – Schüler wie Lehrer – eine Chance, miteinander in Verbindung zu bleiben. Nun aber besteht die Sorge, dass die Kenntnisse, die sich die Kinder im Umgang mit dem Homeschooling erworben haben, wieder einschlafen, wenn die Schüler jetzt nicht dauerhaft für diese Form des Lernens fit gemacht werden. Denn sobald demnächst jemand in der Familie Schnupfen hat oder Erkältungssymptome zeigt, sollen die Kinder ja zu Hause bleiben und müssten wieder online mit Lerninhalten versorgt werden. Von daher finde ich ganz wichtig, dass das einmal erworbene Wissen beim digitalen Lernen etabliert wird. Ich hoffe sehr, dass wir beim Thema Digitalisierung den Ball im Spiel halten.
DOMRADIO.DE: Hatten Sie Vertrauen in die Landesregierung oder fühlten Sie sich in den vergangenen Wochen von der Politik allein gelassen?
Holtz: Die letzten Wochen waren extrem anstrengend, auch wenn sie zunächst die Chance boten, innerhalb der Familie noch einmal neu zusammenzurücken und mehr Zeit füreinander zu haben. Aber in meiner Funktion als Schulpflegschaftsvorsitzende bin ich zwischenzeitlich auch an meine Grenzen gestoßen. Die Entscheidungen aus dem Schulministerium kamen immer kurzfristig. Das bedeutete für die Schulen, umgehend Strukturen zu schaffen, um diese Vorgaben auch umzusetzen. Alles gleichzeitig im Blick zu behalten war schon eine große Herausforderung. Es drängt sich der Eindruck auf, dass die Grundschulen den Verantwortlichen als eine Art Pilotprojekt dienen sollten, um die hier gemachten Erfahrungen dann auch auf alle anderen Schulformen ausdehnen zu können.
DOMRADIO.DE: Jenseits Ihres Ehrenamtes, bei dem Sie immer gleich mehrere Hüte aufhaben – welche Hoffnung haben Sie als Mutter?
Holtz: Ehrlich gesagt, von 100 auf Null runter hat uns innerhalb der Familie auch mal gut getan. Corona hatte also auch diesen positiven Effekt. Zu Beginn des Lockdowns haben wir uns jeden Morgen auf die Räder geschwungen und dabei die Natur viel bewusster mit Blicken nach rechts und nach links wahrgenommen. Das Leben hat eine neue Tiefe bekommen. Nun hoffe ich, dass wir uns davon etwas in unseren Alltag hinüberretten und vor allem, dass sich das Infektionsgeschehen auch weiterhin im Rahmen hält, wir zu einem normalen Schulalltag zurückkehren und die Kinder eines Tages wieder völlig unbeschwert mit einem strahlenden Gesicht in die Schule gehen.
Das Interview führte Beatrice Tomasetti