HIMMELKLAR: Wir sind alle noch ein bisschen im Ausnahmezustand. Dänemark macht im Laufe der kommenden Woche die Grenzen zu Deutschland auf. Wie geht es Ihnen? Wie ist die Situation bei Ihnen?
Anna Mirijam Kaschner (Generalsekretärin der Nordischen Bischofskonferenz und Ordensschwester der Missionsschwestern des kostbaren Blutes): Wir merken, dass die Lockerungen greifen. Das Leben normalisiert sich so ein bisschen wieder. Es gibt natürlich immer noch die Frage: Wie läuft das mit Großveranstaltungen und Demonstrationen?
Wir hatten in Dänemark jetzt auch die Black live matters-Demonstrationen, wo sich die Leute zu Zehntausenden zusammengefunden haben. Natürlich ohne Mundschutz, das ist bei uns keine Pflicht. Da gab es in den Medien auch kritische Stimmen, die gesagt haben, dass das wohl ein bisschen früh sei. Aber insgesamt merkt man, dass das Leben zur Normalität zurückkehrt.
HIMMELKLAR: Dabei haben Sie eine Aufgabe, bei der Sie relativ viel unterwegs sein müssen, auch international. Wie ist das in letzter Zeit gelaufen?
Kaschner: Das war natürlich alles hinfällig. Alle Termine und sämtliche Konferenzen sowohl inner- als auch außereuropäisch sind gestrichen worden. Ich habe quasi im Home-Office gearbeitet. Mein Büro in Kopenhagen war auch mehr oder weniger geschlossen. Es gab Einzelne, die eine Art Wache vor Ort gemacht haben, aber ich selbst bin Zuhause geblieben - im Übrigen, so wie meine Mitschwestern auch.
Das war für uns eine ganz neue Erfahrung hier in unserer Schwesternkommunität. Wir sind fünf Schwestern insgesamt und arbeiten ja allesamt außerhalb des Hauses, außer einer Schwester. Unsere Seniorin ist für den Einkauf und Ähnliches zuständig. Wir waren von einem Tag auf den anderen quasi ins Haus verbannt.
Ich glaube am 13. März begann hier in Dänemark der Lockdown und auf einmal saßen wir alle fünf Zuhause und haben uns gefragt, was wir jetzt machen sollen. Uns war es wichtig, einen festen Tagesablauf zu haben, damit wir irgendwie mit der Situation umgehen können. Wir haben uns den Livestream der Messe aus dem Kopenhagener Dom angeschaut und haben den Gottesdienst aus unserer Kapelle verfolgt.
Wir haben uns auch gefragt, was nun als Ordensgemeinschaft unsere Aufgabe ist, wenn wir nicht mehr nach außen wirken können wie wir das eigentlich gewohnt sind. Wir sind dann auf die Idee gekommen, dass jede von uns zwei Mal am Tag für eine Stunde die eucharistische Anbetung übernimmt. Dies sollte für die Anliegen der Infizierten und Verstorbenen Menschen gedacht sein.
Wir wollten einfach das Ora in "Ora et Labora" verstärken, da ja Labora zu dieser Zeit nicht möglich war. Das haben wir bis Ostern, also drei oder vier Wochen lang, durchgehalten. Da sind viele Menschen gekommen. Wir haben das Ganze auch auf Facebook veröffentlicht mit der Bitte, uns persönliche Anliegen zu schicken. Da kamen fast täglich Bitten zum Gebet bei uns an. Das war für uns eine ganz neue Erfahrung, aber eine positive.
HIMMELKLAR: Sie sind ein Missionsorden, das heißt Sie haben in der Regel keinen festen Tagesablauf wie man das im Kloster sonst hat, nicht wahr?
Kaschner: Wir haben Morgengebet und Abendgebet, also Laudes und Vesper zusammen und an einigen Tagen auch die Komplet, das Nachtgebet zusammen. Ansonsten sind wir nach dem Frühstück alle an unseren Arbeitsplätzen irgendwo in der Gesellschaft draußen wie Schule, Altenheim oder Büroarbeit und kommen dann im Laufe des Abends alle wieder zusammen.
HIMMELKLAR: Ihnen geht es in Ihrer Ordensgemeinschaft in der Nähe von Kopenhagen gut und Sie sind alle gesund. Nun ist aber Ihre Ordensgemeinschaft sehr stark vom Corona-Virus betroffen.
Kaschner: Ja, leider. Der erste Ausbruch des Coronavirus in einer unserer Ordensgemeinschaften war im März in Holland. Das ist unser Mutterhaus, quasi das erste Haus, das in Europa von Südafrika aus gegründet wurde. Dort haben wir fünf Schwestern verloren, die an Corona erkrankt sind. Vier wurden positiv getestet, bei der fünften sind wir nicht so ganz sicher. Das Ganze war innerhalb von zwei Wochen. Die Ordensgemeinschaft hat jetzt noch 25 Schwestern, viele älteren Datums, wie das ja in vielen Ordensgemeinschaften der Fall ist. Das hat die Gemeinschaft schon sehr schwer getroffen.
Wir haben jetzt in der letzten Woche mitbekommen, dass in unserer Gemeinschaft in Südafrika in der Ostkap-Provinz fünf Schwestern innerhalb von einer Woche gestorben sind. Die Schwestern leben dort in einem Altenheim. Inzwischen sind 21 von ihnen infiziert. Wir rechnen damit, dass da wahrscheinlich noch einige Todesfälle hinzukommen werden.
HIMMELKLAR: Wie gehen Sie als Orden damit um?
Kaschner: Wir haben generell in unserer Tradition, dass sofort alle Häuser bei einem Todesfall informiert werden und dann wird in jeder Gemeinschaft für die betreffende Schwester drei Tage lang gebetet und es wird eine Messe gefeiert.
Wir merken aber langsam, dass wir mit dem Beten und dem Messefeiern nicht mehr hinterherkommen, weil täglich neue Todesnachrichten eintreffen. Und wir haben uns überlegt, dass wir ein ganz besonderes Gebet in unseren Tagesablauf einbauen, speziell für die kranken Schwestern in der Welt.
HIMMELKLAR: Haben Sie spezielle Sicherheitsvorkehrungen in den Häusern?
Kaschner: Ja, auf jeden Fall. Wir haben natürlich alles von Desinfektionsmitteln, über Hände waschen und Außenkontakt, der möglichst vermieden werden soll.
Wir haben schon einige Anfragen von Bekannten aus Deutschland erhalten, die gerne Ende Juni/Anfang Juli hier übernachten würden. Das geht im Moment leider nicht. Wir haben eine Schwester hier in Dänemark, die ist über 80, von daher können wir uns das nicht erlauben.
In Deutschland ist Mundschutz ja sowieso vorgeschrieben und wir haben das in den Gemeinschaften jetzt auch eingeführt. Überall da, wo man sich mit mehreren Schwestern trifft, also beispielsweise in Gottesdiensten, muss man mit Mundschutz reinkommen und dort die Regeln für Desinfektion beachten.
HIMMELKLAR: Das ist die eine Seite, Ihr Ordensleben. Ich habe es gesagt: Sie sind Generalsekretärin der Nordischen Bischofskonferenz, Skandinavien und Island gehört noch dazu. Wie sieht es denn bei denen aus? Schweden ist ja zum Beispiel ein ganz großes Problem, nicht wahr?
Kaschner: Ja, richtig. Wir hatten noch im März unsere Vollversammlung der Bischofskonferenz in Paderborn. Sie fand vom 9. bis 13. März statt und war das Spannendste, was ich je mitgemacht habe. Die Ersten sind zwei Tage zu spät gekommen und die Nächsten sind drei Tage früher wieder abgereist, weil bekannt wurde, dass beispielsweise Norwegen den Flughafen schließt oder dass Quarantäneregeln eingeführt wurden. Das war also ein ständiges Kommen und gehen der Bischöfe.
Ich bin noch am letzten Tag, dem 13. März, nach Dänemark zurückgekommen und am 14. März wurden die Grenzen geschlossen. Wir mussten dann aber auch zwei Wochen in Quarantäne. Also das Ganze war ziemlich zerpflückt und wird eine Vollversammlung sein, die uns allen in Erinnerung bleibt.
Schweden hat diesen Sonderweg beschritten, indem sie gesagt haben "Wir vertrauen darauf, dass die Leute aus eigener Überzeugung und eigenem Mittun dabei mithelfen, dass sich das Virus nicht weiter verbreitet." Am Anfang schien das auch eine Strategie zu sein, die aufging. Man wollte langsam die Durchseuchung der Gesellschaft erreichen. Man merkt aber jetzt, dass die Zahlen sprunghaft ansteigen und wir auch nach wie vor die Grenzen nach Schweden geschlossen haben. Es kommt keiner nach Dänemark rein.
Kardinal Arborelius, der Bischof von Stockholm, hat neulich in einem Interview gesagt, dass er sehr um die Alten fürchtet, weil sie ja ganz oft in Sammelunterkünften unterkommen. Wir haben ja auch eine Reihe von Flüchtlingszentren in den Ländern und wenn da das Virus ausbricht, dann wird es sehr, sehr schwer.
HIMMELKLAR: Wie koordiniert man denn die Bischofskonferenz, wenn man gar nicht hinfahren und sich besuchen kann?
Kaschner: Das Problem habe ich ja generell für die Koordination in unseren Ländern. Ich kann ja nicht in allen Ländern gleichzeitig oder wochenweise vor Ort sein. Vieles läuft über E-Mail-Kontakt oder über Telefon. Da sind wir gut aufgestellt, das sind wir gewohnt.
Wir werden für die Septemberkonferenz schauen, wie wir das machen. Das hängt ein bisschen von der Entwicklung der Zahlen ab. Zur Not muss auch mal eine Sitzung vom ständigen Rat als Skypekonferenz oder sowas möglich sein. Da haben wir aber auch Erfahrung mit, das ist jetzt nichts Neues.
HIMMELKLAR: Wie sieht es mit den Katholiken in den Ländern aus? Wie geht es denen?
Kaschner: Island war ja relativ früh schon betroffen, da war eine Reihe von Leuten in Ischgl im Skiurlaub gewesen, sodass sich das Virus dort erstmal ausbreitete. Inzwischen sind die sogar coronafrei.
Norwegen hat auch eine sehr gute Entwicklung gemacht, sodass Dänemark auch nach Norwegen hin die Grenzen wieder geöffnet hat. Da geht es den Leuten relativ gut und auch die Gottesdienste fangen wieder an, was für viele Katholiken eine ganz große Erleichterung ist.
Unsere Leute haben jetzt vier Wochen lang keine Messe besuchen können, die Kommunion nicht empfangen können, Ostern konnte ähnlich wie in Deutschland nicht gefeiert werden. Das war für viele unserer Katholiken ein großer Schmerz, auch weil die Entfernungen zur Kirche immer so weit sind. Selbst wenn die Kirchen zwar offen waren, aber keine Gottesdienste gefeiert wurden, sich alleine mal in die Kirche zu setzen, war für viele gar nicht möglich, weil die nächste katholische Kirche so weit entfernt ist. Das ist jetzt auf einem guten Weg.
Wir haben natürlich noch viele Restriktionen. Man muss sich anmelden bevor man in die Kirche möchte, über Internet ein Ticket bestellen und ab 50 Leuten beispielsweise in der Domkirche in Kopenhagen ist dann Schluss. Dafür werden dann mehr Messen angeboten als wir ohnehin schon haben. Da versuchen wir im Moment, einen guten Weg zu finden.
HIMMELKLAR: Das stelle ich mir schwieriger vor zu koordinieren als in Deutschland, wo man einfach nur ins Nachbardorf fahren muss. Sie holen die Leute aus dem ganzen Land zusammen, oder?
Kaschner: Ja, richtig, das ist eben das große Problem, dass die Abstände so weit sind. Hier in Dänemark sind wir noch ganz gut dran, weil Dänemark ein kleines Land ist. Wir haben auch zumindest in Kopenhagen selber relativ viele katholische Kirchen, auf dem Land wird das schon etwas schwieriger.
Aber wenn ich so in den Norden von Norwegen schaue oder nach Finnland, wo die nächste katholische Kirche vier oder fünf Autostunden entfernt ist, da wird das Ganze natürlich sehr schwierig.
HIMMELKLAR: Die Abschlussfrage ist bei den Gesprächen jedes Mal die gleiche: Was bringt Ihne Hoffnung im Moment?
Kaschner: Hoffnung macht mir, dass trotz der vorsichtigen Öffnung, die wir im Moment haben, die Leute zumindest hier sehr vorsichtig sind und sich an die Regeln halten. Ich bin davon überzeugt, dass wir auch nach Abschluss, falls es das hoffentlich irgendwann gibt, auch eine ganze Menge gelernt haben im Umgang miteinander. Nähe zueinander kann nicht nur durch körperliche Nähe entstehen, sondern geht auch am Telefon.
Viele seelsorgliche Gespräche, die ich in der letzten Zeit hatte, sind natürlich übers Telefon gegangen und wir haben erlebt, dass auch da eine große Nähe möglich ist. Wir können miteinander schauen, wie Glaube in einer Zeit geht, wo wir uns nicht physisch treffen können. Das heißt, der Glaube geht nicht kaputt deswegen, aber er leidet natürlich ein bisschen. Wir sind auch über Entfernungen hinaus miteinander im Gebet und im Geist verbunden.
Das Gespräch führte Renardo Schlegelmilch.
Das Interview ist Teil des Podcasts Himmelklar – ein überdiözesanes Podcast-Projekt koordiniert von der MD GmbH in Zusammenarbeit mit katholisch.de und DOMRADIO.DE. Unterstützt vom Katholischen Medienhaus in Bonn und der APG mbH. Moderiert von Renardo Schlegelmilch.